225. Die Erdäpfel
Maurer, die im Elsaß auf Arbeit gewesen, hatten im Jahre 1725 die ersten Erdäpfel mit heimgebracht. Erdäpfel, Grund- oder Bodenbirnen hieß man sie. Aber niemand achtete die wüsten Wurzelknollen den an der Sonne gereiften schönen Gottesgaben gleich. „Giftbollen" schalten sie viele und warfen sie den Säuen vor. Nur die allerbesten, die zarten „Weißrunden" standen allabendlich dampfend in einer Schüssel bei Most und Käs auf dem Tisch im reichen Hause wie im armen und man aß sie zur Lust. In allen Jahren fiel es keinem ein, Gott dafür zu danken, und erst wenn die ändern Speisen kamen, ward das „Herr gesegne" gesprochen. Über die Erdäpfel betete niemand.
Da hatte aber der Herr einmal lange genug solchem Frevel zugeschaut. Es kamen Fehljahre, Hungerbrunnen quollen in den Wiesen, ins Korn schlug der Hagel, daß Ähre um Ähre am Boden lag, und Obst und Wein verdarb. Doch die Erdäpfel waren noch immer gediehen, wie könnten auch im Boden unten die wüsten Knollen mißraten? — Aber wer da mit der Hacke nach ihnen grub, dem knozte es entgegen, weißer Schaum und Gestank schlug hervor, und was auf dem Acker nicht verdorben, das faulte im Keller, vorab die „Weißrunden", von denen nicht einer zum Stecken übrig blieb. Jetzt erkannten die Leute, daß sie Gott ihnen zur Strafe hatte verderben lassen und von da ab beteten sie auch über die Erdäpfel wie über andere Speisen. So schön wie früher sind sie aber nie mehr geworden.
Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 225, S. 134