98. Die Federnblaser
Kaplan Johann Konrad Herburger schreibt in seiner „Chronik von Ungenau" von 1818: In dieser Pfarrei (Au) gab es die meisten Unordnungen. Die Pfarrgenossen hatten in älteren Zeiten fast immer Streitigkeiten mit ihren Seelsorgern gehabt, selbe bald beim Abte verklagt, bald die Einkünfte ihnen nicht geben wollen. In dieser Pfarrei Au fing die Ketzerei der Wiedertäufer anno 1580 an sehr allgemein zu werden, welche bei fünfzig Jahren gedauert hat und in dieser Ketzerei auch viele daselbst gestorben sind, wie das Sterbbuch in Au klar weiset. Da nun die dasigen Pfarrer dieser Ketzerei nicht zu widerstehen und zu unterdrücken vermochten, so schickte der Abt zu Mehrerau den gelehrten Herrn Jakob Grueß, Konventuale, als Pfarrer nach der Pfarrei Au, welcher mit unermüdlichem und rastlosem Eifer und Arbeit vom Jahre 1630 bis 1639 diese schon sehr eingewurzelte Ketzerei mit Putz und Stiel ausrottete; es heißt in einer Urkunde: „Auch die Ketzerei der Wiedertäufer, welche in Jaghausen ... schon über das Maß sich erhitzt hatte, ist durch den obgenannten Jakob Grueß mit nicht wenigem Eifer und Arbeit, die er durch neun Jahre fortgesetzt hatte, ausgetilgt worden." Hiezu sollen die weltlicher» Obrigkeiten diesem Pfarrer kräftige Hilfe geleistet haben, dabei aber, da diese Hartnäckigen gesehen, daß man ihnen auf allen Seiten zu Leib gehe, sollen 46 Personen ihre Heimat in der Au verlassen und sich nach Mähren zu den dortigen Wiedertäufern begeben haben. So fest saß diese Ketzerei in ihrem Kopf, daß sie lieber auswanderten, als ihren Irrtum sich nehmen ließen. Ein anderer Teil dieser Ketzer, der in der Heimat verblieben ist, soll am Ende noch den Versuch gemacht haben, zu erfahren, ob ihr Glauben wahr oder falsch sei. Sie sollen einen Sack voll Federn auf die Starzel hinaufgetragen haben mit der Losung und Verabredung, daß sie diese Federn dort wollen fliegen lassen und dann, wenn die Federn auswärts flögen, sie auf ihrem Glauben standhaft verharren und ihr Blut und Leben für selben hergeben wollen; wenn aber die Federn einwärts fliegen sollten, wollten sie es sich gefallen lassen, ihren bisherigen Glauben an die Wiedertäuferei als falsch zu verwerfen und der katholischen Kirchenlehre wieder ganz beizutreten. Nun aber sollen die Federn alle einwärts, ins Bad zu hingeflogen und die Auer hierüber heftig erschrocken sein, weil die Federn ihnen den Handel verspielt und sie jetzt ihre Ketzerei ablegen sollten. Daher Herr Michael Feuerstein also singt:
„Wie haben's denn die Auer?
So haben sie's:
Mit den Federn hat's an Stand,
Sie fliegen bis ins Mährenland.
So haben sie's."
Dieweil die Federn einwärts flogen, so meinten sie, sie wollten gar bis nach Mähren fliegen und ihren ausgewanderten Brüdern sogar noch sagen, daß ihr bisheriger Glaube falsch sei. — Das Federnblasen war in ähnlichen Fällen ein beliebter Volksbrauch. Man nennt die Auer heute noch neckweise „Fedrabloser" oder „Mähraländer".
Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 98, S. 73f