339. Die Gemsen sind Teufel
Auf dem Thüringerberg lebte ein Wilderer, der jedesmal, wenn er ins Gebirge ging, einen Bock mit nach Hause brachte. Als alter Mann ging er zu den Kapuzinern beichten und der Pater sagte, er möchte einmal mit ihm auf die Jagd. „Warum nicht", meinte der Wilderer, und sie verabredeten, wann und wo sie sich treffen wollten.
Es war an einem schönen Herbstmorgen, da stand der Wilderer mit dem Pater auf dem Grat. Es ging nicht lang, da sahen sie Gemsen, einen ganzen Rudel. Der Wilderer schlug mit Stahl und Feuerstein dreimal ein Funkenkreuz und rief: „Hollaho, hollaho!" Da blieben die Gemsen stehen wie festgebannt. Aber der Pater sagte zum Wilderer: „Stelle deinen rechten Fuß auf meinen linken und schau über meine rechte Schulter." Der Wilderer tat so, da erblickte er zu seinem Entsetzen statt der Gemsen lauter schwarze Teufel. — Als es mit dem Wilderer ans Sterben kam, lag er drei Tage und drei Nächte in den Zügen. Ab und zu fragte er, ob die Gemsen noch nicht da seien. Vergebens trug man ihn unter die Dachtraufe, er konnte unmöglich sterben. Am dritten Tag schaute einer vor dem Haus draußen gegen den Berg und sah ein Rudel Gemsen herabkommen. Geschwind lief er in die Kammer und rief: „Es kommen die Gemsen zum Haus!" Da richtete sich der Wilderer auf und sagte: „Jetzt ist's vorbei!" — tat noch einen Seufzer und war tot.
Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 339, S. 197