294. Der gesottene Senner auf Panül
Vor viel hundert Jahren hatten die Nenzinger mit den Seewisern Streit. Herden und Molken raubend stiegen die Seewiser immer wieder über das Solaruel in unsere Alpen. Selbst vom Rochuskirchlein im Tal rissen sie die kleine Glocke und noch zeigen die Hirten in der unwegsamen Schlucht des Mengbaches den Platz, wo man früher jeden Herbst vor der Abfahrt in einem tiefen ausgemauerten Loche die kupfernen Sennkessel vergrub, damit sie nicht eine Beute der feindlichen Prätigäuer wurden. Da geschah es einmal, daß die Seewiser wieder zu Häuf mit Morgensternen und Schießprügeln bewaffnet über das Hochjoch in die Alpe Panül einbrachen. Dort aber hatten die Hirten ihr Nahen bemerkt und flohen mit ihrer großen, schönen Habe zutal. Als die Seewiser in der Alpe ankamen, fanden sie kein Vieh mehr vor. Der Senner, der Zusenn und der Batzger aber waren noch in der Hütte. Wild fielen sie über diese drei her und befahlen dem Batzger, daß er sogleich die Herde zurückhole. Der ging, aber kam nicht wieder. Da schickten die Seewiser ihm den Zusenn nach und schworen furchtbare Rache, falls auch er die Herde nicht alsbald bringe, der Senner sei ihnen Geisel. Dem Zusenn aber lag es im Sinn, daß vielen Bauern eine Kuh der ganze Reichtum ist; wohl eilte er der Herde nach, trieb sie aber nicht zurück, sondern mit den Hirten weiter ins Tal. Er versah sich nicht der finstern Drohung und des Furchtbaren, was nun geschah. Die Seewiser warteten lange. Endlich aber schöpften sie Verdacht und einer stieg mit bösem Fluche auf den Schweinschrofen und sah gerade noch, wie Hirten und Herde vom steilen Hang des Galamath durch das Bettlerwegle ins sichere Tal hinabflohen. Da wußten die Prätigäuer, daß ihnen ihr Raub entronnen, und Wut und Rachsucht übermannten sie. Alles Molken, das sie nicht mitnehmen konnten, warfen sie in den Kot und zerstampften es. Dann schürten sie unter dem Sennkessel ein mächtiges Feuer an, warfen den Senner kopfüber ins heiße, brodelnde Wasser und sotten ihn bei lebendigem Leibe.
Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 294, S. 169f