127. Der Kappelegeist in Lustenau
Im 17. Jahrhundert (1645) haben bekanntlich der Hofammann Johann Hagen und seine Ehefrau das Lustenauer Muttergotteskappele erbauen lassen. Das Ehepaar ist in dieser von ihnen gestifteten Kapelle abgebildet. Der Mann trägt einen blauen Schopo mit gelben Knöpfen, ein rotes Lible, kurze Hosen aus Samt, weiße Strümpfe und Schnallenschuhe. Die beiden Glocken im Turme sind gar hoch geweiht und man hat sogar Haare von der Muttergottes hineingegossen. Wenn ein Unwetter im Anzuge ist, braucht man bloß eine von den beiden Glocken im Marienkappele zu läuten und es verzieht sich sofort.
Einmal ging der Bauer Xaver Drexel, vulgo Albert Holzer, gegen halbneun Uhr abends von Rheindorf nach seiner Behausung in der Parzelle Stalden. Er mußte bei der Muttergotteskapelle vorbei über das Kappelefeld, das damals noch Kornacker war, jetzt aber ganz mit Häusern verbaut ist. Als er beim Portal der Kapelle vorbeikam, nahm er ehrerbietig den Hut ab. Jetzt hörte er ein Rauschen, wie wenn der Wind im Herbst durch die Türkenfelder streicht und dann wieder Töne, als ob jemand singe. Auf einmal sah er einen mächtig großen Mann ohne Kopf mit ausgebreiteten Armen auf sich zukommen. Der Geist hatte einen blauen Schopo an mit gelben Knöpfen. Es war der Kappelegeist, den schon viele Leute gesehen haben. Mit gnappigen Knien und totenbleich kam der Lustenauer heim. Die Seinen waren entsetzt über sein Aussehen und bestürmten ihn mit Fragen, was ihm denn passiert sei. „Lom me grad verschnufe, denn verzell i eu alls!" erwiderte er und warf sich pfnästiga auf einen Stuhl.
Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 127, S. 89