16. Die Nonne in der Klosterkaserne
In der Klosterkaserne in Bregenz, im ehemaligen St. Annakloster, hat man früher in der Nacht eine Klosterfrau in weißem Gewande und mit einem Schlüsselbund durch die Gänge wandeln sehen. Manche sagen, die Klosterfrau habe rings um den Leib Schlüssel hängen gehabt. Weil diese Nonne zu ihren Lebzeiten Speisen in den Abtritt geworfen habe, mußte sie von der Küche den Weg dahin nehmen. Auch ging sie oft in der Nacht von der Klosterkaserne durch die Klostergasse bis zum Kapellchen beim Sennhof.
Am Allerheiligentag des Jahres 1848 zog das erste Militär in die Annakaserne ein. Aber schon der erste Wachposten sollte die Bekanntschaft mit der geistenden Nonne machen. Von der Dachbodenstiege herab kam eine Klosterfrau, ging in die Küche, von da in den Abtritt, dann durch den Hausgang, wo der Soldat Posto stand, zur Pforte. Der Soldat lief, zitternd am ganzen Leib, in die Wachtstube und erzählte seinen Kameraden von der Begegnung mit der Klosterfrau. Da stand einer auf und sagte: "l furcht mi voar nix l Um a paar Budele Schnaps stand i de Posto!" Der Soldat zahlte ihm gerne den Schnaps und war zu Tod froh, daß ihn einer ablöste. Kaum stand der tapfere Mann auf seinem Posten, als die Klosterfrau den Gang daher kam, sich umdrehte und ihm fest ins Gesicht sah. Sofort fällte der Soldat das Bajonett und stach es dem Geist mit solcher Kraft durch die Brust, daß die Spitze desselben an die Wand stieß und abbrach. Dabei aber hatte den Soldaten ein solches Grauen erfaßt, daß er ohnmächtig zu Boden stürzte. Auf das Geräusch hin eilten Soldaten aus der Wachtstube und trugen den ohnmächtigen Kameraden hinein. Man holte sogleich den Arzt, aber erst in acht Tagen konnte der Soldat erzählen, was vorgefallen war und in vierzehn Tagen starb der Mann.
Ein anderes Mal erschien die Klosterfrau in der Nacht auch einem Wachtposten und hielt beim Auf- und Abgehen gleichen Schritt mit ihm, bis dem Soldaten vor Angst und Grauen stockübel wurde. Vorher hatte er aber noch gerufen: "Wer da!? Gewehr heraus!"
Im Jahre 1852 erschien die Nonne abermals einem diensthabenden Wachtposten. Der Soldat schoß auf die Klosterfrau, aber im selben Moment war sie verschwunden. In einer Tür war nur noch das Loch sichtbar, durch welches die Kugel eingedrungen war. Man konnte dasselbe noch lange Zeit sehen. Der Soldat aber starb sechzehn Tage nach diesem Vorfall.
Als das St. Anna-Kloster zur Kaserne umgewandelt wurde, errichtete man
in ihren Räumlichkeiten auch eine Kantine. Da hatte einst ein Küfer
mit seinem Lehrling im Keller der Kaserne zu arbeiten. Auf einmal rief
der Lehrling: "Moaster, hond er it die Klosterfrau mit dem große
Schlisselbund seahe det ussarku?" Dabei wies er auf eine Türe;
dann sei sie im Gang, der Tür gegenüber, aus der sie gekommen
war, verschwunden. Der Meister hatte die Nonne nicht wahrgenommen, verließ
aber mit seinem Lehrling sofort den Keller, es war ihm unheimlich geworden.
Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 16, S. 37f