239. Kurasche für ganz Vorarlberg

In Valduna befindet sich auch ein weites unterirdisches Gewölbe, in welchem die Leute zu Kriegszeiten Zuflucht suchten. Es hieß aber immer, daß eine Nonne, an einer Kette angebunden, in diesem Gewölbe drunten sei. Da kam einmal eine Kommission von zwölf Männern, von zwölf Gemeinden je ein Mann, ins Kloster, darunter der Tschavoll von Feldkirch, ob denn kein beherzter Mann da sei, der in das Gewölbe hinabsteige, zweiundfünfzig Gulden seien sein Lohn. Aber den Klosterknechten waren die Gulden um den Preis nichts — und sie blinzelten verstohlen zu der kuraschierten Obermagd hinüber. Die hatte immer, wie sie selbst sagte, Kurasche für ganz Vorarlberg. Das wußte auch die Oberin des Klosters und sie sagte zum Tschavoll: „Bitt schön, ich glaube, die Grabher wird es schon wagen!" „Jo, jo", sagte die Obermagd, „i gang scho!" Da zog man ihr eine Lederhose an, band ihr ein Seil um den Leib, das vier Männer hielten, versah sie mit einem Rückenkorb, gab ihr eine brennende Laterne in die eine, einen Spieß in die andere Hand und hängte ihr zuletzt ein Blashorn um. So ausgerüstet machte sie sich durch die eiserne Tür in das Innere des Gewölbes. Hie und da, während sie vorsichtig weiter schritt, wurde am Seil gezogen und dann mußte sie in das Hörn blasen. Sie fand wirklich das Skelett der Klosterfrau, und um einen Handknochen war noch der Ring der Kette. Beherzt nahm sie die Gebeine, legte sie in den Rückenkorb und brachte sie aus dem Gewölbe ans Tageslicht. Die zweiundfünfzig Gulden waren der Lohn ihrer Tapferkeit. Das habe sich im Jahre 1875 am 5. August zugetragen. — Die Schwester der Grabher war barmherzige Schwester in der Irrenanstalt Valduna, wurde aber von einem Irren, der sich dort in Pflege befand, mit einem Kegel erschlagen.


Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 239, S. 139f