362. Der Schlächter
Von Buchboden aus geht man etwa zwei Stunden bis zur schönen Alpe Unterhuttlen. Da haust lange Jahre schon ein böser Geist in Gestalt eines geschundenen Kalbes. Von dem erzählt die Sage: Gegenüber von Garsella, an der äußeren Litze auf der Schattenseite, lebte vor mehr als hundert Jahren ein roher Bauer. Er wollte eines Tages sein Kalb schlachten und verlangte von seinem Weibe, daß sie es ihm halte. Sie weigerte sich und sagte ihm, daß sie es jetzt gar nicht über sich vermöge. Trotz aller Bitten erboste er. Er warf das Kalb zornig auf den Metzgerschragen und mit einem Strick band er sein Weib zwischen die Hinter- und Vorderfüße des geknebelten Tieres. Als er aber das Tier geschlachtet hatte, mußte er sehen, daß währenddem das arme Weib in seiner Angst und vor mitleidigem Grauen gestorben war. Es währte dann nur eine kurze Frist, so verschied der Bauer eines unseligen Todes. Da fing es aber im Hause erschrecklich zu geisten an, daß es unmöglich war, darin zu wohnen. Erst der frömmste Kapuziner aus dem Bludenzer Kloster konnte Hilfe schaffen. Er trug den Geist bis zur Alphütte Huttlen (in einem Doktorgütterle, erzählen manche), in der er seitdem außer der Alpzeit weilen darf; während der Alpzeit aber muß der Butz unter den Fall des Huttlerbaches.
Es wird kaum mehr als fünfzig Jahre her sein, daß im Spätherbst ein Walser dort oben in der Hütte Heu fassen wollte; als er aber ein geschundenes Kalb darauf liegen sah, eilte er voll Schrecken heimzu. Und der Huttlergeist mag dort droben noch lange sein Wesen treiben, denn der Walser weiß: Geister in Menschengestalt sind erlösbar, aber solche in Tiergestalt nimmer.
Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 362, S. 207f