353. Wer sich traut, soll kommen!
Ein gewisser Türtscher von Sonntag im Walsertal ging an einem Feiertag nach Raggal z'Hengert. Die Raggaler Burschen hatten ihn bald entdeckt und beschlossen, dem Fremdling mit einer Tracht Prügel heimzuleuchten. Gegen zehn Uhr abends erschien vor den Fenstern jener Stube, in der Türtscher saß, eine Horde von zwölf Burschen, alle mit Sparren ausgerüstet. „Komm heraus, wenn du etwas nutz bist!" rief es im Chor mit verstellten Stimmen. „Ich komm' schon, wartet nur!" gab Türtscher zur Antwort und verlangte von seinem Meiggi ein Gläschen Branntwein. Dann nahm er sein rotes Sacktuch heraus, breitete es auf den Tisch, trank schnell das Glas und stellte es umgekehrt aufs Fazanetle. Zum Meiggi aber sagte er: „So, jetzt geh' ich. Laß mir das da stehen, bis du mich in Bluzern jauchzen hörst!" Damit ging er zur Tür hinaus. „He, da bin ich", rief er draußen, „wer sich traut, soll kommen!" Aber keiner rührte sich. Lautlos hingebannt standen sie mit ihren Sparren habtacht. Da schritt Türtscher lachend zwischen ihnen durch und zündete sein Pfeiflein an. — Bei der Kapelle in Bluzern schwang er seinen Hut und jauchzte aus vollem Halse ein "Schlaf wohl".
Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 353, S. 202f