59. Der Wucherer findet keine Ruhe
Im Allgäu starb vor Zeiten ein schwerreicher Kornhändler, ein abscheulicher Wucherer. Man beerdigte ihn auf dem Friedhof seines Heimatortes. Da er keine Ruhe fand - oft warf eine unsichtbare Macht den Leichnam aus dem Grabe heraus -, trug man ihn auf den Hirschberg und begrub ihn dort auf dem ehemaligen Klosterfriedhof, nachdem vorher die Klosterschwestern von Hirschtal bei Kennelbach ihre Einwilligung gegeben hatten. Der Verstorbene sollte aber auch auf diesem einsamen Bergrücken keine Ruhestatt finden. Früher war auf dem Hirschberg Getreide gepflanzt worden, und er hatte wohl auch dort beim Kornhandel betrogen. In kurzer Zeit schlug der Blitz zwanzigmal auf dem Hirschberg ein und warf den Wucherer aus dem Grabe heraus, so oft man ihn auch wieder eingrub. Endlich brachte man den Toten wieder in seinen Heimatort. Die Ortsbewohner verhinderten aber ein neues Begräbnis, denn sie fürchteten, es könnte ihnen der Blitz das ganze Dorf anzünden, wenn dieser schuldbeladene Mensch in ihrem Friedhof ruhe. Da trug man die Leiche wieder auf den Hirschberg und begrub sie abermals.
Da waren einst, so erzählt ein Bauer von Deren, im Dezember die
Bewohner von Doren beim sonntäglichen Gottesdienst versammelt. Auf
einmal krachte es zweimal hintereinander, die Leute eilten aus der Kirche:
es mußte irgendwo eingeschlagen haben. Der Hirschberg war ganz in
Nebel gehüllt, man sah aber einen rötlichen Schimmer hindurch.
Als Männer durch den dichten Nebel den Berg hinan stiegen, flogen
ihnen schon von weitem die brennenden Dachschindeln der Alphütte
entgegen. Jetzt wußten sie, daß die Hütte brannte. Vierzig
Kühe kamen im Feuer um und der Leichnam des Wucherers lag wieder
ob der Erde. Da endlich hatten die Leute einen merkwürdigen Einfall:
sie legten den Wucherer in seinem Grabe auf die Nase, statt auf den Rücken,
und so ward endlich Ruhe.
Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 59, S. 55