Der Pfister im Tobel
Einstmals befand sich unter dem Viehstande der Alpe Hintern eine kleine gelbe Kuh, die immer ihre besondern Wege ging. Doch nie traf sie ein Unfall. Jeden Abend mußte sie aber gesucht und geholt werden. Dieses Geschäft lag dem Pfister (Unterknecht) ob. Aus Unmut über die Eigenart der gelben Kuh beschloß er gründliche Abhilfe zu schaffen. Er ging aus, suchte und fand die Kuh auf saftiger Schrofenweide. Statt sie heimzutreiben, stieß er sie gewaltsam über den Felsen hinaus ins Tobel hinab. Im nächsten Sommer starb dieser Pfister eines plötzlichen Todes, und seine Mitknechte vernahmen von nun an allabendlich in dem Tobel, durch welches die Kuh gestürzt war, ein klägliches Seufzen und Stöhnen. Die Älpler hielten Rat und kamen überein, in das Tobel zu gehen und im Namen Christi um die Ursache jenes Gewimmers zu fragen. Gesagt, getan. Als Antwort hörten sie die Stimme des verstorbenen Pfisters, der bekannte, zur Strafe für seine Untat müsse er eine lange Reihe von Jahren eine Kuh von der Tobelsohle zu ihrem
Scheitel wälzen; oben angekommen, falle sie sogleich hinunter, und dann beginne sein trauriges Geschäft von neuem. Wenn aber der Eigentümer der verunglückten Kuh, ein Dornbirner, zufriedengestellt würde, könnte seine Erlösung vor der Zeit erfolgen. Der Vater des unglücklichen Pfisters verglich sich hierauf mit dem Beschädigten, und der Knecht hatte fortan Ruhe.
Quelle: Josef Grabherr, Sagen in Damüls, in: Kathol. Volkskalender 1898, S. 128f, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 157f