Der Uhu

Vor etwa zweihundert Jahren war im Hause Nr. 108 in Bizau die Wirtschaft zur Sonne und eine Bäckerei. Der Wirt war nämlich auch Bäcker, und wie es öfter vorkommen soll, habe er es mit dem Gewichte des Brotes nicht allzu genau genommen.

Einst stieß in der Nacht ein Uhu, der in der Schloßwaldung hauste, einen Schrei aus; der Bäcker hörte ihn und ahmte ihn nach, wodurch er den Vogel erzürnte; denn es war kein gewöhnlicher Vogel, sondern ein böser Geist. Der Uhu flog auf das Haus zu, und als der Bäcker die Türe schloß, pickte der Vogel die Haus- und dann die Stubentüre durch und drang dem Bäcker nach. Dieser floh in die Backstube und verschloß hinter sich die Türe. Aber der Uhu ließ nicht nach und als er auch diese Tür beinahe durchgepickt hatte, hielt der Bäcker in seiner Angst das Backbrett vor, an dem noch etwas Teig klebte. Da mußte der Vogel abziehen, denn dieser Gottesgabe konnte er nichts anhaben; sie hielt ihn zurück und der Bäcker war gerettet. Da machte der Bäcker das Versprechen, alljährlich eine gewisse Menge Brotes unter die Armen zu verteilen zum Dank für seine Rettung und als Sühne für die vielen Verfehlungen, die er früher begangen hatte. Später wurde dieses Versprechen, das nach dem Tode des Bäckers auf das Haus übergegangen war, immer gehalten und noch vor dem Weltkrieg wurde es gehalten. Erst als der Weltkrieg es dem Besitzer des Hauses unmöglich machte, das Brot auszubringen, wurde statt des Brotes eine entsprechende Geldsumme unter arme Schulkinder verteilt.

Quelle: Franz Xaver Wölfle, Sagen von Bizau, in: Montfort I (1946), S.288, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 230f