175. Die Pest in Ebnit und Ems
Zuerst sei die Pest bei uns auf der Alpe Falosch ausgebrochen, wo die Dornbirner Ach entspringt. Einen Tag einmal seien die Kühe von der Alpe Falosch ins Ebnit herabgekommen. Da die Leute merkten, daß die Kühe noch nicht gemolken seien, ahnten sie nichts Gutes, gingen auf Falosch und fanden dort die Knechte tot.
Dann habe sich die Pest im „Hinderstua" in Ebnit ausgebreitet. Früher haben dort nämlich noch mehr Leute gewohnt als heute. Manche waren in großer Furcht und flohen aus den Häusern, in denen Leute an der Pest erkrankt waren. An einem Sonntagmorgen holten die Gesunden, die alle in einem Haus sich zusammengeschart hatten, geräucherten Speck aus dem Kamin und gingen auf den sogenannten Roßplatz, um dort ein Feuer anzuzünden. Von da aus konnten sie in den Hinderstua hineinsehen und beobachten, ob die Schornsteine noch rauchten. Das wäre ihnen ein Zeichen gewesen, daß noch Leute am Leben seien. Und wirklich, aus einem Haus sahen sie noch schwachen Rauch aufsteigen. So gingen sie hinein und fanden ein zwei- oder dreijähriges Büblein lebend vor, während dessen Eltern tot im Bett lagen. Das Kind nahmen sie mit.
Vom Emmiig (Ebnit), wo die meisten Menschen starben, kam die Seuche in die Auen in der Emserreute und von dort stieg sie aufs Land herab. Im Bruggawasa, in der oberen Reute, stand damals noch ein Haus und dort kehrte der schreckliche Gast zuerst ein. Mann und Frau starben, das dreijährige Kind aber blieb am Leben. Die Leute fanden es, wie es auf den Leichen seiner Eltern herumkroch. In Meschach sei nur ein Weib übriggeblieben und in Hohenems wäre nach der Sage das „Bregittle" das letzte überlebende gewesen, das dann auch noch starb.
Nachdem die Pest schon viele Opfer gefordert hatte, sei ein unbekanntes Männlein gekommen und habe den Leuten geraten, sie sollten „Lippla und Bibernella" essen, dann werde die Krankheit weichen. Man befolgte den Rat, aß wacker Pimpernellen und fing eifrig an zu beten, und bald hörte die Seuche auf. Unter „Lippla essen" haben die Leuten eben verstanden, man müsse die Lippen bewegen und beten.
Quelle: Im Sagenwald, Neue Sagen aus Vorarlberg, Richard Beitl, 1953, Nr. 175, S. 111f