Das Bahrrecht
Einer der ersten Bewohner in der Innerfratte war Hans Bärawald. Er siedelte sich neben dem Valsott an. Die „Hostig“ (Gemäuer der Hofstatt) sah man noch vor etwa hundertfünfzig Jahren. Heute ist dort alles bewaldet, und jenes Gebiet hat von seinem einstigen Besitzer den Namen.
Zu diesem Hans Bärawald kam eines Tages ein Händler hinauf und kaufte ihm die schönste Kuh ab. Während der Händler die Kuh zu Tale trieb, schaute ihr der Bauer wehmütig nach, und der Handel reute ihn. Er eilte dem Abziehenden nach und wollte den Kauf rückgängig machen, doch da dieser darauf nicht einging, erschlug ihn Bärawald.
Nach Jahren wurde im Walde ein Totenkopf gefunden. Diesen brachte man in die Kirche und legte ihn auf den Altar. Alle Bewohner des Gebietes hatten in der Kirche zu erscheinen, und es wurde Gericht gehalten. Während des Opferganges um den Altar musste jeder Opfernde mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf den Totenschädel tupfen und dabei die Frage stellen: „Bin ich schuldig an deinem Tod?“
Hans Bärawald, ein altes, gebrechliches Männlein, trat nicht zum Opfergange an. Der Priester forderte ihn auf, auch öffentlich Zeugnis abzulegen; aber einige Männer mußten ihn gewaltsam zum Altare führen. Während nun Bärawald den Schädel berührte und dabei die Worte sprach, begann der Totenkopf zu bluten.
Also war der Mörder entlarvt.
Quelle: Sepp Bodrak, Reste alten Rechtswesens aus der Innerfratte, in: Heimat 4. Jg. (1923), Heft 1/2, S. 112f, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 83f