DIE BEDINGUNG

Das Nachtvolk
© Künstlerin Maria Rehm
© Viktoria Egg-Rehm,
Anita Mair-Rehm, für SAGEN.at freundlicherweise exklusiv zur Verfügung gestellt

Ein Tschaggunser wollte vom Nachtvolk das Flötenblasen lernen, weil er von dessen Kunstfertigkeit schon Wunder gehört hatte. Er postierte sich einmal an der Kreuzgasse, als das Nachtvolk vorüberzog, und stellte sein Ansuchen. Da ward ihm die Antwort, er solle sich bei der nächsten Fahrt des Nachtvolkes wieder an der Kreuzgasse aufstellen, dabei aber nicht lachen oder reden, überhaupt keinen Laut von sich geben, was immer er auch zu sehen bekäme. Bestehe er diese Probe, so werde er fürderhin die Flöte meisterlich blasen können. Der Mann versprach, was ihm gesagt wurde, und stellte sich auch wirklich bei der nächsten Fahrt des Nachtvolkes an der Kreuzgasse auf. Der Zug kam näher - lauter wüste Gestalten! Der eine hatte keinen Kopf, der andere trug ihn unter dem Arm. Andere wieder hatten die Köpfe zwischen den Schultern, wie es sich gehört, aber sie machten einen Lärm, daß es einem durch Mark und Bein ging. Und zu allem dem sah der Tschaggunser über sich einen großmächtigen Mühlstein an einem Faden hängen. Er blieb aber standhaft, tat keinen Muckser und stand da wie eine Bildsäule ohne Laut und Sprache. Der Zug rauschte allmählich vorüber, aber zuletzt lief noch eine nach, die hatte eine Kochkelle im Hintern stecken und brummte zu sich selber: "Sie stecket i der Rahma." Bei diesem Anblick mußte der Tschaggunser lachen, ob er wollte oder nicht. Damit hatte er die Probe nicht bestanden und mit dem Flötenblasen war es nichts.


Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 159, Seite 131