Die Mühle bleibt stehen
Zu Inner-Bartholomäberg (Montafon) wurde dem Müller öfter, wenn er bei Nacht zu mahlen hatte, die mit Wasser gefüllte Rinne vom Mühlrade fortgestoßen, worauf die Mühle stehenblieb und jener die Arbeit einstellen mußte. Das verdroß denselben gewaltig, und wie sehr er auch sich Mühe gab, den Täter konnte er nicht entdecken; nur einmal gewahrte er, wie eine Katze mit Blitzesschnelle an ihm vorüberhuschte und sofort verschwand, während gleichzeitig wieder die Mühle zu klappern aufhörte.
Da dachte sich der Müller: „Gewiß, du bist der Bösewicht, der mir immer die Mühle stellt. Warte, Bestie, dir will ich das Handwerk schon legen!“, und die folgende Nacht lauerte er, mit einem Kreuzbeilchen versehen, unbemerkt in der Nähe der Maueröffnung, durch die man mittelst einer kleinen Eisenstange die Wasserrinne auf das Rad hin- und von diesem wieder fortschieben konnte, auf den Frevler. Gegen zwölf Uhr bemerkte der Müller, wie eine große schwarze Katze in die Mauerspalte hüpfte, sich wie ein Eichhörnchen auf die Hinterpfoten stellte und eben sich anschickte, mit den Vorderpfoten die genannte Stange fortzustoßen, um so die Mühle zum Stillstande zu bringen. Im Nu eilte der Mann heimlich hinzu, schlug mit dem Beilchen auf das Tier und traf dieses an der rechten Tatze. Sofort war die Katze verschwunden, während etwas, wie er deutlich hörte, in die „Radstube“ hinabfiel. Er suchte sogleich nach und fand alsbald einen funkelnden Ring, der an einem Frauenfinger steckte. Wie der Müller in der Frühe diesen seinem Weibe zeigte, so glaubte es die Person, der dieser Ring gehöre, zu kennen. Und in der Tat, sie hatte sich nicht geirrt, denn bald wurde es ruchbar, daß einem Weibe in der Gemeinde der Ringfinger fehle.
Quelle: Christian Hauser, Sagen aus dem Paznaun und dessen Nachbarschaft, Innsbruck 1894, S. 33f, Nr. 21, zit. nach Sagen aus Vorarlberg, Hrsg. Leander Petzoldt, München 1994, S. 28f