DIE ALTE AUS DER KEHLEN
Merkwürdig ist es, wie Sterbende ihren Tod künden. Zu einer zahlreichen Familie in Dornbirn kam fleißig jede Woche ein altes krummes Weib, das die Wäsche und Kleider der Kinder zum Ausbessern bekam. Einmal erkrankte die Frau und sie blieb vier Wochen aus. Nach der Zeit saßen die Mutter und ein Söhnlein an einem schönen Sommertag im Zimmer, da hörten sie das Weible langsam die Stiege heraufkommen. Sie hinkte und war am Gang leicht zu erkennen. In der ganzen Gemeinde ging sonst niemand die Stiege so auf und ab. Sie klopfte an, kam aber nicht herein, sondern ging langsam wieder die Treppe hinab. Die Mutter hatte gerufen: "Hörst du, die Alte aus der Kehlen kommt wieder!" und sie schickte den Buben hinaus, daß er sie zurückhole. Das Weible hörte schlecht, hatte das "Herein" vielleicht nicht vernommen und war der Meinung, es sei niemand daheim. Aber weder auf der Stiege noch im Vorhaus noch außer dem Haus war jemand zu finden. Als am nächsten Morgen die Totenglocke geläutet wurde, galt es der Alten aus der Kehlen.
Quelle: Die Sagen Vorarlbergs. Mit Beiträgen
aus Liechtenstein, Franz Josef Vonbun, Nr. 68, Seite 84