DAS ALTE MÜTTERLEIN AUF DER SPINNSTUBAT
(Aus Dr. F. J. Vonbuns Sagen, nach Dr. Spiegels Aufzeichnung)

Als in Dornbirn noch an den langen Winterabenden die Nachbarn in den Spinnstubaten zusammenkamen, — das Weibervolk mit Kunkel und Rädle, die Mannsleute mit der unvermeidlichen Tabakspfeife, — erschien auf einer solchen Stubat allabendlich ein altes Mütterlein und setzte sich mit seinem Spinnrade in die hinterste Ecke, wo es dann bis zum allgemeinen, oft sehr späten Aufbruche spann. Das Weiblein mischte sich nie ins Gespräch, mochte noch soviel erzählt, gelacht und gescherzt werden. Eigentlich war das seltsame Wesen jedermann unbekannt, doch ließ man es unbefragt kommen und gehen.

Unter den Mannsleuten befand sich ein junger Bursche, der Kopf und Herz auf dem rechten Fleck hatte. Während seine Altersgenossen sich mit den jugendlichen Dirnen unterhielten, schenkte er seine Aufmerksamkeit der alten Frau. Wie kam es doch, daß er stets in ihren Winkel schauen mußte? Vielleicht zog ihn der unerklärbar milde und doch schmerzliche Ausdruck ihres Gesichtes an; vielleicht ihr stilles Wesen, ihre scheue Zurückgezogenheit. Er hätte lachen mögen, daß er so dumm war, und gleich darauf, wenn er wieder einen Blick in den Winkel geworfen, stand ihm das Weinen näher.

Das alte Mütterlein in der Spinnstube  © Maria Rehm
Das alte Mütterlein in der Spinnstube
© Künstlerin Maria Rehm
© Viktoria Egg-Rehm,
Anita Mair-Rehm, für SAGEN.at freundlicherweise exklusiv zur Verfügung gestellt

So ging es drei Jahre lang. Wieder war alles des Abends in der Spinnstubat beisammen, und der Bursche schaute still und sinnend der alten, schweigsamen Spinnerin zu. Plötzlich bemerkte er, daß sie das Spinnrad verkehrt drehe. Da setzte er sich neben sie, schaute noch eine Zeitlang zu und sagte dann zu ihr: „Immer linksum, Mütterle?" Nun fuhr ein heller Strahl über das Leidensgesicht der Alten. Sie stand rasch auf und bedeutete dem Burschen mit freundlicher Miene, sie zu begleiten. Schweigend wanderten die Beiden in die stille Nacht hinaus. Das Mütterlein schritt voran über Acker und Wiese, bis sie zu einem einzeln stehenden Gebüsche kamen. Hier sprach es: „So entsetzlich viele Jahre habe ich gesponnen und stets linksum, und erst du hast es endlich zu meinem Glücke bemerkt. Dafür soll dir reichlicher Lohn werden! Grabe morgen an dieser Stelle! Was du findest, betrachte getrost als dein Eigentum!" Nach diesen Worten war sie verschwunden. Der gute Bursche aber hob am nächsten Morgen einen Hafen voller Taler aus der Erde. Der Schatz brachte ihm Glück, denn er starb im hohen Alter als des Dorfes reichster Bauer.


Quelle: Walter Weinzierl, Sagen aus Dornbirn, Dornbirn 1968, S. 60