Das Königskraut vom Moosgraben
Der Gemeindewald im 16. Bezirk
© Harald Hartmann, September 2007
Der 16.te Wiener Gemeindebezirk, Ottakring, hat mit dem sogenannten "Gemeindewald" einen nicht unbeträchtlichen Anteil am Wienerwald. Schon die alten Römer gaben dem Wienerwald seine erste Bezeichnung: "mons cetius", das Waldgebirge. In der Senke des "Moos-, oder auch Wolfsgraben" treffen zur Zeit der Schneeschmelze, aber auch bei Regen, einige Gerinnsel zusammen und so soll es zu früherer Zeit auch eine kleine Ansiedlung von Elfen und Kobolden, welche Feuchträume bevorzugen, hier gegeben haben. Weshalb diese hier schon seit undenklichen Zeiten nicht mehr gesichtet wurden kann ich nicht erklären. Aber es liegt die Vermutung nahe, das den Menschen in Laufe der Jahrhunderte die Fähigkeit auch das Übersinnliche zu erspüren und zu erfassen verloren gegangen ist. Vielleicht sind auch die vielen Strahlen und atmosphärischen Störungen daran schuld welche für die Menschen unsichtbar und unspürbar die Atmosphäre erfüllen und durchdringen, verursacht durch Telefon, Funk, Radio und Fernsehwellen.
Diese sensiblen Wesen reagieren sicherlich feinfühlig darauf. Wohin sie entschwunden sind ist also nicht erklärbar, ebenso wenig wie ihre frühere Herkunft. An einem anderen Ort, so berichtet die Überlieferung, sollen sie über einen besonders hohen und mächtigen Baum zu Boden herunter gekommen sein.
Ich könnte mir solches in früherer Zeit auch hierorts als eine Möglichkeit vorstellen. Aber wie schon angeführt, in diesem Zusammenhang ist vieles an Wissen verloren gegangen und nicht mehr nachvollziehbar.
Was aber auch heute noch an diesem Standort nachzuweisen und zu finden ist, sind seltene Pflanzen und Kräuter. Hier befindet sich auch der Standort des schwarzen Nieswurz, besser bekannt als Schneerose oder auch Helleborus niger, wie ihre botanische Bezeichnung lautet. Im Frühjahr ist das ganze Gebiet mit "Bärlauch" übersät und die Luft mit den für diesen typischen Knoblauchgeruch erfüllt. Welche anderen und als Arzneien verwertbare Pflanzen es hier noch gegeben hat, lässt sich jedenfalls nicht mehr eruieren. Doch sollen in früherer Zeit pflanzenkundige Frauen hier heilkräftige Pflanzen gesammelt haben. So ein hochbetagtes Kräuterweiblein war einst, so wird uns überliefert, hier ihrer Sammeltätigkeit nachgegangen. Sorgfältig pflückte sie Kraut um Kraut und legte dieses behutsam in ihren mitgeführten Korb.
Nicht ohne jedoch immer wieder ihre Tätigkeit zu unterbrechen, setzte sie sich zwischendurch auf einen umgefallenen Baumstamm, um während dieser kurzen Rast zu schluchzen und zu klagen. Dieses Weinen und Klagen rührte einige der hier anwesenden Elfen sosehr, das sie sich dem Weiblein zeigten und zu erkennen gaben. Auf ihr Befragen klagte die Kräuterfrau ihr Leid. Ihre eigene Enkeltochter sei von einer unbekannten Krankheit befallen worden und alle Versuche diese zu heilen waren bisher vergeblich verlaufen.
Hier könne nur ein besonderes Kraut, ein "Königskraut"
helfen von welchem sie wohl schon gehört hatte, welches ihr selbst
aber unbekannt sei. Weil dieses nur in guter Luft, an feuchten Standorten
mit reinem Wasser in tiefen Wäldern gedeihen solle, sei sie hier
her gekommen, um dieses zu suchen und mit etwas Glück auch zu finden.
Ansonsten gebe es, nach Auskunft der beigezogenen, gelehrten Ärzte
und Doktoren keine Hilfe für das arme Mädchen. Nur ein Wunder
könne es noch retten, ein Wunder eben in der Form des vorhin genannten
"Königskrautes".
Da steckten die kleinen Elfen ihre blondgelockten Köpfchen zusammen und begannen zu tuscheln. Eine von ihnen, vermutlich die Elfenkönigin, erklärte dann, dass sie einen der wenigen Standorte dieser seltenen und wertvollen Pflanze kenne, diesen aber nicht verraten dürfe da diese, von Menschenhand gepflückt, ihre Heilkraft sofort verlieren würde. Da begann das alte Kräuterweiblein neuerlich auf das heftigste zu schluchzen, denn sie fühlte sich der Rettung ihrer Enkeltochter so nahe und konnte offenbar doch nichts dazu beitragen. Das rührte die Elfen noch etwas mehr und sie dachten darüber nach, wie man hier trotzdem noch helfen könne.
Da hatte die Elfenkönigin die beste Idee, weshalb man sagen kann das sie zu Recht das Amt der Königin zugesprochen bekommen hatte. Da nämlich die Elfen selbst zu schwach und feingliedrig waren, um dieses robuste Kraut zu pflücken, dieses aber von Menschenhand gepflückt, wie schon angeführt, seine Heilkraft verlieren würde, wurden die nahe der Elfensiedlung wohnenden Kobolde dazu beauftragt. Diese hatten Kraft genug und erfüllten wunschgemäß den Auftrag. So wurden einige Blätter des Krautes in den Korb gelegt und dem Weiblein aufgetragen diese in der Sonne trocknen zu lassen und in der Folge daraus einen heilsamen Tee zuzubereiten und das Mädchen davon trinken zu lassen.
Dankbar verabschiedete sich die betagte Frau und tat zu Hause wie ihr geheißen. Schon nach wenigen Tagen trat die gewünschte und erhoffte Wirkung ein. Der heilsame Tee aus dem "Königskraut" bewirkte eine wundersame und dauerhafte Heilung des Mädchens.
Ach, gebe es dieses Kraut auch zu unserer Zeit. Unsere heutige wirkungsvolle
und moderne Medizin versagt leider noch immer in vielen Fällen. Bedauerlicher
Weise ist bis heute niemand mehr an das Königskraut heran gekommen.
Denn selbst wenn es jemand finden könnte, so würde es doch,
von Menschenhand gepflückt, seine Zauberkraft verlieren. Außerdem
bestehen berechtigte Zweifel daran, das es seine Heilwirkung trotz Umweltverschmutzung
und durch Menschenhand verursachte Strahlen und Wellen beibehalten hätte.
Die einst so hilfreichen Elfen und Kobolde jedenfalls sind deshalb verschwunden
und sind seit Menschengedenken nicht mehr gesehen worden.
Quelle: Ferry Kovarik, nach historischen Quellen neu nacherzählt, Emailzusendung vom 27. Mai 2005