DER HERMANNSKOGEL
Auf dem Hermannskogel, von Wien nordwärts an der Stadtgrenze, stand vorzeiten ein Kloster. Dieses wurde von einem fremden Ritter namens Hermann gegründet, nach dem seither der Berg auch den Namen führt. Die Sage berichtet von diesem Kloster folgendes: Eine der Nonnen brach ihr Gelübde; sie war einem Jäger zugetan, der sich öfters verstohlen bei dem vergitterten Fenster ihrer Zelle einfand und leise mit ihr redete.
Eines Tages kam er später als sonst und erzählte ihr recht geheimnisvoll, er habe ganz nahe im Wald einen Schatz entdeckt, den wolle er heben. Er bat die Nonne, ihm dabei zu helfen und dann mit ihm in ein fremdes Land zu fliehen. Sie glaubte alles, was er sagte, nahm schnell die notwendigsten Sachen mit und lief heimlich zu ihm hinaus.
Kaum hatte aber die Nonne das Kloster verlassen und war im Walde draußen, so wurde auf einmal ihr Begleiter größer und größer, aus seinen Händen wurden Klauen, seine Füße wurden zu Hufen, seine Hutfedern zu Hörnern, und sein Mantel ward in Riesenflügel umgewandelt. Als das Mädchen erkannte, wer ihr Gefährte sei, schrie sie vor Schrecken laut auf und fiel ohnmächtig nieder.
Der höllische Bräutigam packte sie aber mit seinen Klauen und fuhr mit ihr unter wildem Geheul in die Luft. Seitdem irrt der Geist der Nonne am Hermannskogel ruhelos umher, und in stillen Nächten hört man ihn leise weinen. Auch am Fuße des Berges, auf der Wiese beim Bründl, soll der Geist schon öfters gesehen worden sein. In die Steine, die im Walde umherliegen, ritzt er Kreuze hinein, und all das wird noch so lange dauern, bis er endlich Erlösung findet.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o.
A., o. J., Seite 116