ABRAHAM A SANCTA CLARA WETTET

Wenn Pater Abraham in der Augustinerkirche predigte, konnte diese die Zahl der Zuhörer kaum fassen; denn er verstand es in ganz vortrefflicher Weise, seine Belehrungen und Ermahnungen in mancherlei kurzweilige Erzählungen zu kleiden, und wenn ihm dabei manch derber Spaß unterlief, so tat das nichts zur Sache. Auch Kaiser Leopold I. hörte ihm sehr gerne zu und ernannte ihn 1677 sogar zum Hofprediger. Als solcher war er oft Gast des Kaisers, verkehrte mit den vornehmsten Edelleuten und benützte diese Stellung gar klug zum Wohle armer und unglücklicher Menschen. Denn der fromme Mann wollte nicht nur schön predigen, sondern auch Gutes stiften, wo er nur konnte.

Und der Armen und Elenden gab es zu jener Zeit auch genug. So war damals in Lichtenthal eine große Feuersbrunst ausgebrochen. Gar viele Leute verloren Hab und Gut und mußten froh sein, daß sie mit dem Leben davongekommen waren. Das Elend war unbeschreiblich, und Abraham a Sancta Clara nahm sich vor, etwas ganz Besonderes zu tun, um recht viel Geld für die Abgebrannten zu erhalten. Als nun einmal viele Edelleute bei Hofe waren, trat Abraham in ihre Mitte, erzählte ihnen von dem Unglück in Lichtenthal und forderte sie auf, mit ihrem Geld gutzumachen, was das Feuer so schrecklich schlecht gemacht hatte. Aber die Goldmünzen flössen nur spärlich. Da schlug Abraham den Edelleuten eine Wette vor, er wolle ihnen eine Predigt halten, und die solle so beschaffen sein, daß die einen von ihnen weinen, die anderen aber herzlich lachen sollten. Gewinne er, so müsse jeder Edelmann mindestens einen Dukaten bezahlen, verliere er, so müsse er eine bestimmte Summe Geldes für die Abgebrannten erlegen. Darauf gingen die Edelleute ein. Denn es schien ihnen sicher, daß der Hofprediger verlieren müsse, da es doch unmöglich sei, daß bei einer und derselben Predigt die einen weinten und die anderen lachten. Abraham führte nun seine Zuhörer in einen großen Saal der kaiserlichen Hofburg und ließ sie sich so niedersetzen, daß die einen in einer langen Reihe auf ihren Sesseln saßen und die anderen in einer zweiten Reihe ihnen gegenüber. Dann stellte er sich in die Mitte, mit dem Gesichte gegen die eine Reihe zugewendet, so daß er der anderen Reihe seinen Rücken zeigte. Und nun fing er an zu predigen. Er schilderte den Jammer der armen Abgebrannten in einer so herzergreifenden Weise, den Hunger der Kinder, den Schmerz der Weiber, die Verzweiflung der Männer, daß die Edelleute, so sehr sie sich auch bemühten, die Tränen in ihren Augen nicht zu unterdrücken vermochten. Als nun die einen weinten, nahm er ganz unversehens einen großen Fuchsschweif aus seiner Kutte, legte denselben auf den Rücken und fing an, mit diesem herumzuwedeln. Das sahen nun die in der zweiten Reihe sitzenden Edelleute und brachen in ein schallendes Gelächter aus. Pater Abraham hatte seine Wette gewonnen. Er ergriff den nächstbesten Hut, trat ernst vor jeden der Edelleute, und diese warfen mit vollen Händen ihre Goldmünzen in denselben. Überglücklich fuhr Abraham mit einigen von den Herren nach Lichtenthal, versammelte die armen Abgebrannten und verteilte das Geld unter sie. Das gute Beispiel wirkte allenthalben in Wien, und es flössen nun so reiche Gaben, daß den armen Leuten wirklich geholfen werden konnte.


Quelle: Holczabek/Winter, Sagen und Geschichten der Stadt Wien. Zweites Bändchen. Wien 1901