Wo die Kuh am Brett spielt
1.
Es hat in Wien eine Zeit gegeben, wo es nach unseren heutigen Begriffen mit der Orientierung, d. h. mit dem Auffinden eines bestimmten Hauses noch ziemlich schlecht aussah. Wir geben heute einfach mit dem Namen der Gasse auch eine Nummer an und wissen uns rasch zurecht zu finden, um so mehr als beides hübsch deutlich an jedem Hause ersichtlich ist. Aber vor sechshundert Jahren und mehr war dies ganz anders, denn die ersten Anfänge einer Nummerierung der Häuser in Wien fallen in das 16. Jahrhundert. Dazu kam noch, daß die wenigsten Leute des Lebens kundig waren. Aber die klugen Wiener wußten sich zu helfen. Aus verschiedenen Gründen mußte es den Hausbesitzern, noch mehr aber den Kaufleuten daran gelegen sein, dem Publikum das Haus, beziehungsweise die Ware auf eine recht handgreifliche Art von Augen zu bringen und einzuprägen: man wählte die bildliche Darstellung. So entstanden die ersten Haus- und Kaufmannsschilder, die entweder, wie es im Mittelalter sehr häufig vorkam, direkt in leuchtenden Farben an die Vorderwand des Hauses gemalt waren oder in der Form von großen, mit bunten Bildern versehenen Holztafeln den Leuten entgegenleuchteten.
Mancher besonders fürsorgliche Hauswirt, der auch gern mit seiner Wohlhabenheit dabei prunken wollte, ließ aus Stein gemeißelte Figuren anbringen, die in ihrer Ausführung oft ein bedeutendes Kunstgeschick verrieten. Leider gingen die meisten derselben verloren, doch ist eine besonders interessante an dem Eckhause Tuchlauben und Landskrongasse deutlich ersichtlich; selbe stand einstens als Wahrzeichen an dem vor einigen Jahren demolierten Winterbierhause (Ecke Wildbretplatz und Landskrongasse) und stellt einen Fischer dar, der sich über einem Kohlenbecken wärmt.
Der Stoff zu diesen Hausschildern war leicht gewählt und bezog sich zumeist auf die Tätigkeit des Besitzers, auf eine besondere Lieblingsneigung, auf ein Straßenereignis, auf die Bibel, auf einen Heiligen, auf eine gerade im Schwange befindliche Sitte u. dgl. m. Aber nicht selten dienten verschiedene Abgeschmacktheiten als Motive, die sich um so rascher im Volksmunde verbreiteten und befestigten, je auffälliger und humoristischer sie waren. Und dann war ja auch der Zweck am besten erreicht, nämlich das, was man wollte: allgemeine Popularität des Hauses. Selten jedoch waren diese Zerrbilder von Schildzeichen aus der Luft gegriffen, sondern besaßen in der Regel einen lokalen Hintergrund, der aber bei manchen ganz und gar in Vergessenheit geraten ist, wenn auch der Name erhalten blieb. So gab es das Haus zum "Lösch den Durst" (Laimgrube), zu den "drei lüftigen Brüdern" (Schottenfeld), zum "gewünschten Frieden" (Alt-Lerchenfeld), dann das Haus "wo die Gans beschlagen wird" (Himmelpfortgasse 3), dann "wo der Wolf den Gänsen predigt" (Wallnergasse 17), ferner "zum Basilisken" (Schönlaterngasse 7), zum "großen Salzlöffl" (Salzgries), zum "Hahnenbeiß" (Am Hof), dann "wo der Hahn in den Spiegel schaut" (Eisgrübl 4), zum "Küß den Pfennig" (Adlergasse 4) und noch viele andere.
Ein sehr bekanntes Haus war auch jenes in der oberen Bäckergasse 16, welches den sonderbaren Beinamen besaß "wo die Kuh am Brett Spielt". Wie dies gekommen [entstand], erzählt folgende Geschichte:
Der landesfürstliche Stadtrichter von Wien, Herr Hieronymus Kuh,
ein besonderer Günstling des Herzogs Rudolf IV., hatte sich in der
oberen Bäckerstraße an der Stelle zweier alter Häuser
ein prächtiges Heim erbauen lassen und dieses nach damaligen Begriffen
sehr vornehm und wohnlich ausgestattet. Er war ein gestrenger Mann, der
im Volke wenig beliebt war und dem die Leute gern einen tüchtigen
Schabernack angetan hätten, wenn ihnen nur das Wie recht klar gewesen
wäre. Aber da galt es, sehr vorsichtig zu sein, denn mit einer so
angesehenen obrigkeitlichen Persönlichkeit konnte die Sache für
den Veranstalter leicht einen schlimmen Ausgang nehmen.
Das neue Haus war gar stattlich anzusehen. Es besaß eine breite
Front mit einem hohen, stufenförmig ansteigenden Giebel und reizenden
Erkern, die zierliche Türmchen trugen. Neben dem breiten Tore befand
sich außen an der Straße eine Art Laube, ein vorspringendes
Dach, welches auf schlanken Säulen ruhte. Das war der Lieblingssitz
des gestrengen Herrn, denn hier saß er in seinem Mußestunden
gern und unterhielt sich mit seinem Freunden bei einem guten Glase Wein,
wobei nicht selten das damals beliebte Damenbrettspiel eifrig betrieben
wurde. Ein gern gesehener Gast war des Herzogs lustiger Rat Hans Kagelwidt,
der sich durch seine tollen Streiche die Herzen der Wiener im Sturme erobert
hatte. Das war ein gar drolliger Herr.
Er stand in den besten Jahren. Dies sagte sein zierlich tänzelnder Gang, man las es aus dem rotwangigen Gesicht mit dem blonden, stets sorgfältig gekräuselten Vollbarte und endlich aus den treuherzigen blauen Augen. Ja, die Augen! Das war das Köstlichste an Herrn Kagelwidt und es schien, als säßen in ihnen kleine Zauberer, die die Leute, so ihre Blicke auf diese funkelnden Spießgesellen fielen, stracks behexten. Verwundert genug schüttelten die guten Wiener darob ihre Köpfe; aber da sie sich dabei sehr wohlbefanden und bezüglich der Erheiterung auf ihre Rechnung kamen, schwiegen sie fein still. Sonst hätte es sicher ein schrecklich Zetermordio gegeben und ein peinlich Gericht. Aber so tat ihnen der verschmitzte Schalk recht wohl. Daher war es kein Wunder, wenn sich dem lustigen Rate alle Türen öffneten, wo er auch anpochen mochte, und ihm die Leute fröhlich zulächelten, so er durch die engen Straßen schritt. Und am liebsten zog es ihn in die Bäckerstrasse. Ei, ei, Herr Kagelwidt, das mußte verdächtig sein. War es denn die Gesellschaft des gestrengen Herrn Stadtrichters? Hatte es ihm dessen guten Wein angetan? Oder war es vielleicht das ergötzliche Damenbrettspiel, das ihn so gewaltig anzog? Oder lag der Grund dazu... nein, nein, das darf nicht ausgeplaudert werden. Kurzum, Herr Kagelwidt kam nahezu täglich in die Bäckerstrasse, die Stunde wußten schon die Straßenjungen, hielt bei dem neuen Hause an und verschwand in dem schönen großen Tore. Merkwürdig war dabei nur eines, nämlich, daß ein lieber krauser Mädchenkopf, der verstohlen hinter den Butzenscheiben eines Fensterchens auf die Straße gelugt hatte, dann ebenfalls plötzlich unsichtbar wurde. Und dieser Kopf gehörte Trudchen an, dem einzigen Töchterlein des gefürchteten Herrn Stadtrichters, das im Hause mit der alten Susanne, der Haushälterin, ein gar strenges Regiment führte, denn die Mutter war schon längst verstorben. So sehr Herr Hieronymus Kuh in seinem Amte gewaltig zu rumoren beliebte und keinen Widerspruch seitens seiner Untergebenen duldete, daheim im Hause schien er ganz umgewechselt zu sein. Er muckte nicht und unterwarf sich blindlings den häuslichen Anordnungen seines einzigen Kindes, wußte er doch, daß seine Trude alles klug und trefflich einzurichten verstand, ganz so, wie es seine liebe Hausfrau einstens getan. Nach den Mühen seines schweren Amtes tat es ihm sichtlich wohl, selbst ein bißchen gelenkt und geleitet zu werden. Denn im Grunde genommen besaß er ein gutes Herz und die Strenge, die er den Leuten zur schau trug, war nur äußerlich. Ja, ja, seine Trude war ihm alles und die zärtliche Vaterliebe bewies am deutlichsten, wie gut und nachsichtig eigentlich der Herr Stadtrichter sein konnte. Daher kam es, daß der lustige Rat des Herzogs allezeit und so auch heute, selbst wenn Herr Hieronymus Kuh noch nicht heimgekehrt war, gar wohl empfangen wurde, um so mehr, als er es verstanden hatte, die Freundschaft des lieben Kindes zu gewinnen.
Also Herr Kagelwidt war in die Torhalle eingetreten, er hielt jedoch nicht an, sondern setzte seinen Weg fort über den schmalen Hof, bis er in einem kleinen, aber allerliebsten Gärtchen stand, das die beiden Frauen förmlich aus dem Boden gezaubert hatten. Da gab es zu beiden Seiten sorglich gepflegte Gemüsebeete und längs des Mittelganges, der zu einer mit wildem Wein übersponnenen Laube führte, blühten herrliche Rosen. So oft er auch schon mit stillem Behagen deren süßen Duft eingesogen hatte, er konnte auch heute nicht widerstehen, an einem der Stöcke zu verweilen. Er bog ein Zweiglein zurück und roch an der lieblichen Blüte. Da, o Schreck, vielleicht war er zu heftig gewesen, brach der Zweig und er hielt eine schöne, scharlachrote Rose in der Hand. Das Mißgeschick fuhr ihm tief zu Herzen. Er, der sonst ein Held in allen peinlichen Lagen gewesen, versuchte umsonst, einer leicht begreiflichen Befangenheit Herr zu werden. Und zu seinem Unglück trat eben Trude in das Gärtlein. Ein einziger Blick aus ihren Schelmenaugen und sie hatte die Freveltat erkant.
"Ei, ei, was treibt Ihr denn, Herr Kagelwidt? Meine armen Rosen! Ach geht doch. Ihr seid ein rauher Geselle! Was hatten sie Euch denn angetan, daß Ihr so derb zufassen müßt!"
So schmälte sie und machte ein bitterböses Gesicht, so arg sie es nur konnte. Dabei zuckte es um ihren blühenden Mund so verräterisch, als suchte sie mit Gewalt ihre Schadenfreude zu unterdrücken. Und Herr Kagelwidt stand da und hielt sprachlos das Röslein in Händen, die Augen beschämt zu Boden gesenkt. Endlich wagte er es sie zu erheben. Hei, wo waren denn die kleinen Zauberer geblieben? Ängstlich wanderten die Blicke über die strengen Mienen der Jungfrau und forschten nach Mitleid. Da mochten sie das seltsame Zucken durchschaut haben.
"Scheltet immerhin, ehrsame Jungfer, es ist leider so. Was ich
auch berühren mag, es bricht unter meinen tölpischen Händen.
Übt gnade, sonst sind mir die Rosen verleidet."
"So! Als ob die armen Blumen es verschuldet hätten! Wenn Ihr
meine Lieblinge verachtet, dann meidet sie. Daß Ihr es nur wißt:
der hat ein hartes Herz, den ihr Anblick nicht erfreuen kann!"
"Ihr tut mir Unrecht, so ist es nicht gemeint. So wie die guten Menschen
liebe ich die Blumen!"
Da flog eine Flammenröte über das Gesicht des Mädchens.
Es wandte sich ab und brach in ein helles Gelächter aus.
"Das nenne ich aus der Schlinge gezogen!"Nun gewann Herr Kagelwidt
seine Fassung wieder.
"Darum gönnt dem armen Opfer, daß es Euch schmücke.
Zu Euren Wangen paßt die Rose wunderbar!"
Beherzt tat Herr Kagelwidt einen Schritt vor und heftete die Blüte
in die Puffen des Kleides. Trude ließ es ruhig geschehen und blickte
ihm forschend ins Auge.
"Ihr seid ein arger Schmeichler!"
"Und nun ist der Friede geschlossen, mein Ihr nicht, liebe Trude?"
"Aber wie lange?"
"Damit Ihr..."
"Ja, ja, damit ich Euch... schätze wie die Blumen!"
"Habt Dank, Herr Ritter mein, ich will es mir merken!"
Sprach's, knickste und flog davon, dem eintretenden Vater gerade in die
Arme.
"Nun, das nenne ich einen Gruß! Aber Trude!"
"Schweig still, lieber Vater, da hast du deinen Kuß! Rasch
will ich das Vesperbrot bringen!"
Husch! und das liebe Mägdlein war verschwunden. Eine Weile standen
die beiden Männer und blickten verwundert nach, als wäre ihnen
etwas Köstliches plötzlich entschwunden. Endlich ermannte sich
der Hauswirt:
"Seid mir willkommen, guter Freund! Was sagt Ihr zu meiner lieben
Hummel? Ist sie nicht recht wunderlich?"
"Jungfer Trude eine Hummel? Wenn sie Euch hörte! Übrigens
ein trefflich Bild. Sie brummt wohl, aber sie sticht nicht."
"Gut gesagt, aber ich setze hinzu: Solange sie Honig leckt in ungestörter
Freude. Aber seit Ihr nur einmal borstig und brummig, gleich spürt
Ihr den Stachel. Hütet Euch, guter Freund, ich kenne sie."
"Da gibt es nur ein Mittel!"
"Und das wäre?"
"Die Haube, sag ich Euch, die Haube!"
Da fuhr eine Wolke über das Gesicht des gestrengen Herrn Stadtrichters
und ein leiser Seufzer entrang sich seiner Brust, als widerführe
ihm schweres Leid.
"Ja, ja, es ist so; aber schwer würde ich sie missen. Ist sie
doch der muntere Sonnenstrahl, der mir so manche Sorge von der Stirn küßt.
Schwere Gedanken bewegen meine Seele. Kommt, Herr Kagelwidt, wir wollten
sie bannen. Ein Spielchen wird sie verscheuchen."
Er schritt dem Ausgange zu und ließ sich in der Laube von dem Tore
nieder, sein Gast desgleichen. Die alte Susanne deckte den Tisch und gleich
darauf brachte Trude eine Tasse mit kaltem Bratenfleisch herbei, des Weines
im Tonkruge nicht zu vergessen. Sie lächelte munter und verteilte
anmutig Teller und Besteck und füllte die beiden Pokale.
"Wohl bekomme es, ihr Herren, mich ruft noch der Garten, wo manches
verwüstet ist."
Dabei fuhr ein Schelmenblitz aus ihren Augen auf Herrn Kagelwidt, ein
artiger Knicks und sie enteilte behende. Die beiden Männer ließen
es sich trefflich schmecken und nach beendeter Mahlzeit legte Herr Hieronymus
Kuh das Damenbrettspiel auf den Tisch und bald waren sie in Zug und Gegenzug
vertieft. Aber es mochte nicht recht gehen, das Spielchen, das sie sonst
so eifrig betrieben. Die Herren waren sichtlich zerstreut, besonders der
Gast.
"Ei, Herr Kagelwidt, was spielt Ihr heute schlecht! Nun verliert
Ihr die dritte Dame! Deckt Ihr Eure Bauern nicht besser, so seid Ihr verloren!"
"Ja, ja, ich merke es, mir ist kaum mehr zu helfen! Sieht nur, Herr
Stadtrichter!"
"Nun also, da habt Ihr es! Eure letzten Steine, ein zwei, drei, ich
schlage sie, das Spiel ist zu Ende! Ihr seit besiegt! Noch eine zweite
Partie?"
"Nein, werter Freund, ein andermal, laßt uns die Abendstunde
verplaudern."
"Wie Ihr wollt. Hebt an, Herr Kagelwidt, was bedrückt Euch das
Herz?"
"Ich will es Euch sagen, Herr Stadtrichter, doch entzieht mir eure
Freundschaft nicht, so Euch meine Worte nicht genehm sind. Ihr kennt mich
seit Jahren und wißt, daß meine Verhältnisse geordnet
und einem tüchtigen Hauswesen gewachsen sind. Mir fehlt die Hausfrau,
die es verwalten könnte. Laßt mich Euren Eidam sein, Herr.
So ich recht gesehen, ist mir Eure Trude wohl gesinnt!"
"Ei, Ihr überrascht mich, Herr Kagelwidt! Wer hätte das
gedacht! Der lustige Rat des Herzogs! Laßt es mich bedenken, es
kommt so unerwartet. Ihr wißt ja, es ist mein einzig Kind. Schwer
fällt mir die Trennung."
"Trennung? Nicht daß ich wüßte. Ist Euer neues Haus
nicht groß genug? Ihr sollte mich ganz aufnehmen, Herr Stadtrichter,
und habt dann mit einem warmen Freunde einen guten Sohn."
Da leuchteten die Augen des Stadtrichters auf, es war, als fiele ihm eine
schweren Last vom Herzen. In tiefer Bewegung faßte er die Hand seines
Freundes und sprach:
"Ihr seid mir lieb und wert, Herr Kagelwidt, und bei Euch weiß
ich mein Kind geborgen. Seht, das war es, was mich vorhin im Garten so
sehr bedrückte, die Zukunft meines lieben Kindes. Ihr nehmt mir die
Last vom Herzen. Ja, so Euch das Mädchen gut ist, Ihr sollt mein
Eidam sein, ich wüßte mir keinen trefflicheren!"
"So ist der Bund geschlossen, Herr Stadtrichter! Ihr habt mir ein
schweres Bangen von der Seele genommen. Dank Euch, vieltausendmal!"
"Frohlockt nicht zu frühe, noch hat Trude nicht gesprochen.
Laßt mich allein ihre Meinung erforschen, und kommt Ihr morgen wieder,
dann sollte Ihr Euer Urteil vernehmen."
"Ihr vertraue Euch ganz und gar und lege mein Glück in Eure
Hände. Seid mir ein guter Anwalt, Herr Stadtrichter."
"Ihr sollt mich loben, Herr Kagelwidt! Nun aber eingeschenkt und
den letzten Becher einer frohen Zukunft. Stoßt an, es lebe unsere
liebe Trude!"
Die Becher klangen und freudig schüttelten die Männer einander
die Hände.
"Ei, das nenne ich lustig pokuliert! Welche Siege müssen die
Herren feiern!" Schalkhaft drohte das liebe Mädchen, das eben
die letzten Worte vernommen. Herr Kagelwidt hatte sich erhoben.
"Ja, ehrsame Jungfer," rief er frohgemut, "in Eurer Hand
wird es liegen, wer den Preis davontragen soll. Es war eine schöne
Stunde! Denkt Eures Ritters mit der Rose, der die Blumen liebt wie die
guten Menschen. Seid bedankt für den Imbiß. Will es Gott, blüht
uns morgen das Glück!"
Und bewegt schied Herr Kagelwidt voll froher Hoffnung auf den kommenden
Tag.
"Wo die Kuh am Brette spielt", Fassadenbild
in der Bäckergasse, Wien
ein nachträgliches Bild zur Sage?
© Michael Koning, Juni 2005
2.
Die verheißungsvolle Stunde war wirklich angebrochen und des Herzogs lustiger Rat hatte den Preis empfangen, den er so sehr herbeigesehnt. Strahlende Gesichter gab es, als die drei glücklichen Menschen in der Prunkstube des Hauses beisammen saßen.
"Nun, lieber Vater, Ihr sorget wohl dafür, daß dies
Ereignis den Vettern und Basen auch bekannt werde. Es muß ein Fest
geben, Vater, des gestrengen Herrn Stadtrichters auch würdig, sonst
- sticht Eure Hummel!"
Verwundert blickten die Männer auf, als drückte sie ein schlecht
gewissen.
"Was sagst du? Hummel?"
"Es wird so manches offenbar und nicht umsonst gibt es offene Fenster,
zumal bei lauten Reden. Ich habe im stillen herzlich gelacht, lieber Vater,
und mich des trefflichen Mittel gefreut, das Herr Kagelwidt so eifrig
empfohlen. Es kam mir gerade recht."
"Wie meint Ihr das, liebe Trude?"
"Nun seht, das ist so. Vaters neues Haus ist prächtig, doch
hat es noch keinen Namen. Da dacht' ich mir, es müsse ein schönes
Doppelfest geben, die Verlobung und des Hauses Taufe; es sind dies doch
eigentlich beide Namensfeste in gewissen Sinne. Daher müssen alle
herbei, Vettern und Basen, und Gevatter zu stehen nach alten Brauche."
"Ja, aber..."
"Kein Aber, ich weiß es. Statt heute zu spielen, werden die
Herren sich die Köpfe zerbrechen und ein Schild ersinnen, das zu
unserem schönen Hause paßt. Und damit das Werk recht gut gelinge,
will ich mit einem Humpen vom Besten nicht sparen. Also frisch voran!"
Und der Tropfen vom Besten perlte in den schönen Glaspokalen und
die Herren gerieten in ein tiefes Sinnen. So manches Bild wurde zu Tage
gefördert, aber keines fand Gnade vor Trude, die sich die Entscheidung
vorbehalten. Selbst als man das Bild des Mädchens vorschlug, war
noch nicht das Rechte getroffen. Spottend rief da Trude:
"Ei, ihr weisen Herren, da klänge schön, wenn die Leute
sagten: Trudenhaus! Wo bleibt Euer Witz, Herr Kagelwidt? Er scheint mir
versiegt?"
"Wartet, wartet, böse Jungfer Trude, das sollt Ihr büßen!
Jetzt weiß ich den passenden Namen: zur stechenden Hummel!"
Da gab es ein frohes Lachen, das nicht enden wollte, und der Herr Stadtrichter
mußte sich die Tränen aus den Augen wischen. Aber das liebe
Mädchen schmollte gar nicht, obwohl es Ursache gehabt hätte,
vielmehr endete es den Streit und sprach:
"Ich sehe schon, die Weißheit der hochgelahrten Herren reicht
nicht hin, ins Schwarze zu treffen, so will ich helfen. Denkt doch, Herr
Vater, was Ihr in der Laube so gern betreibt!"
"Wahrhaftig, Trude, du Blitzmädchen, das ist ein Gedanke! Das
Damenbrett! Ja, das soll es sein! Meint Ihr nicht, Herr Rat?"
Die Jungfer strahlte von Vergnügen und rieb sich schadenfroh die
Hände, schalkhafte Blitze schoß sie auf den sinnenden Rat,
der beschämt an seinem Glase herumgriff. Aber da schien es, als wäre
ihm ein toller Einfall gekommen, denn seine Augen leuchteten plötzlich
auf.
"Ja, ja, Jungfer Trude hat gesiegt. Haltet fest an diesem Gedanken,
Herr Stadtrichter, es ist prächtig und sinnreich. Und wenn Ihr es
erlaubt, so will ich den Maler besorgen, der das Brett gar stattlich ausführen
soll. Nächsten Sonntag wird ein herrlich Bild am Hause prangen und
Jungfer Trude soll dann mit mir zufrieden sein!"
Wohl hatte Trude das eigentümlichen Aufleuchten in den Augen ihres
Bräutigams bemerkt, eine böse Ahnung beschlich ihr Herz, aber
sie bezwang sich und füllte noch einmal die Gläser.
"Auf ein frohe Verlobung!" rief der Vater und die Pokale erklangen
gar feierlich.
Und als Her Kagelwidt sich verabschiedete, da lachten seine kleinen Zauberer in so verräterischem Glanze, daß Trude lieber nicht an dem Witze des Lustigen Rates gezweifelt hätte.
3.
Der Maler kam und arbeitete geheimnisvoll. Er stand auf einem hohen
Gerüste und entwarf seine Zeichnung mitten hin auf die breite Giebelwand.
Aber niemand sah, was er schuf, denn er hatte einen Verschlag aufgerichtet,
der ihn den Blicken der etwa Neugierigen gänzlich entzog. Auch als
er fertig war und das Gerüste entfernt wurde, blieb das Bildnis verborgen,
denn eine breite Linnenhülle bedeckte es.
Der Sonntag war gekommen und in dem neuen Hause gab es ein geschäftiges
Getriebe und Hantieren. Bis auf die Straße drang der Duft von Braten
und Bäckereien, es waren viele Gäste angesagt und die Küche
des gestrengen Herrn Stadtrichters sollte in Ehren bestehen. Noch vor
dem eigentlichen Festmahl sollte die Enthüllung des Bildes in feierlicher
Weise vorgenommen werden. Die Kunde von dem schönen Doppelfeste war
längst in der Bäckerstrasse bekannt geworden und deshalb standen
die Leute in hellen Scharen vor dem Hause und harrten geduldig der Dinge,
die da kommen sollten. Vorläufig freuten sie sich an schönen
Blumengewinden, die von Fenster zu Fenster bis hoch hinauf zum Giebel
reichten. Bunte Fähnchen flatterten und von den Fenstern hingen kostbare
Teppiche herab. Ein Meister in seiner Art mußte dies so angeordnet
haben, so prächtig war alles anzusehen.
Endlich schritt der Herr Stadtrichter mit Braut und Bräutigam zum
Tore heraus, umgeben von zahlreichen Gästen, die in ihren Festgewändern
gar stattlich aussahen. Da verstummte das Gemurmel der Menge, freundlich
blickte Herr Hieronymus Kuh nach allen Seiten und dankte für die
Grüße; er schien recht aufgeregt.
Auch Jungfer Trude sah ein bißchen befangen drein, als würde
ihr Herz gewaltig rumoren. Nur der lustige Rat schaute umgekümmert
umher, so heiter und sorglos, als hätte er das ruhigste Gewissen.
Mit gespannter Aufmerksamkeit waren aller Augen nun auf die Hülle
gerichtet, Herr Kagelwidt winkte dem Maler, dieser zog an einer Schnur,
die Hülle fiel - und ein unbändig Gelächter erscholl ringsum
wie aus einem Munde. Sprachlos stand der Stadtrichter da, entsetzt blickte
Trude auf die Mauer. Von Lippe zu Lippe pflanzte sich der Ruf fort: "Die
Kuh am Brett!" In Gold und Schwarz leuchteten die 64 Felder des Brettspiels,
umschlungen von zierlichen Arabesken und links daneben saß ein Kuh,
so gezeichnet, als ob sie eben einen Stein auf dem Brette verschieben
wollte.
Lange starrte der Herr Stadtrichter sprachlos empor, es flimmerte ihm
vor den Augen, den eine Röte des Zornes stieg in seinem Gesichte
empor. Da rangen sich endlich die Worte los:
"Das ist eine Schmach, die Ihr mir angetan, Herr Kagelwidt. Ich denke,
wir sind fertig!"
Doch der lustige Rat lächelte so verführerisch, ein solches
Behagen sprach aus seinem Gesichte, daß der Herr Stadtrichter unwillkürlich
einhielt und zauderte.
"Mit nichten, viellieber Freund, noch nicht! Ich will nur meiner
lieben Braut zeigen, daß der Witz des lustigen Rates noch nicht
versiegt ist. Sehr nur wieder hin, die Sinne haben euch getäuscht!"
Auf ein verstohlenes Zeichen, das er dem Maler gegeben, verschwand vor
aller Augen plötzlich die Kuh und es war die Inschrift sichtbar "Das
Haus zum Brettspiel", von einem Kranze purpurner Rosen umwunden.
Eine sinnreich angebrachte Schnur hatte die täuschend auf Leinwand
gemalte Kuh blitzschnell herabgezogen. Nun erst ertönte der rechte
Jubel und ein langanhaltendes Beifallsklatschen und brausende Bravorufe
belehrten den Stadtrichter eines besseren. Er erkannte den losen Streich,
den sein Freund ausgeführt und so sinnreich zum Guten gewendet hatte,
daß der strenge Miene verflog und er lächelnd diesem die Hand
reichte.
"Wahrhaftig, Herr Kagelwidt, Ihr seid ein rechter Schalk, vor Euch
muß man sich hüten. Sei auch du versöhnt, liebe Trude,
und gedenke der Rosen!"
"Habe ich es recht gemacht, Jungfer Trude?"
"Ja, Herr Kagelwidt, noch zur rechten Zeit; denn wahrlich, sonst
hättet Ihr meinen Stachel gefühlt."
"Und Euer Zweifel?"
"Nein, nein, an Eurem Witze zweifle ich nicht länger. Doch künftig
will ich schon sorgen, daß es nimmer so derb erscheine."
Längst waren Jahre verflogen und Herr Kagelwidt hatte oft Gelegenheit,
diese Sorge der Frau Trude zu erproben, doch litt sein Frohsinn nicht
darunter. Und mochten auch die Rosen noch so vielsagend den Schild des
Hauses umschlingen, das Volk der guten Wiener bezeichnete hartnäckig
das Haus "wo die Kuh am Brett spielt".
Quelle: Emil Hofmann, Alt-Wien, o.J., S. 38 f.
Emailzusendung von Michael Koning am 26. Juni 2005