DAS HAUS "ZUR GÜLDENEN SCHLANGE"

Im Jahr 1683 rückte die türkische Armee, die zweihundert Mann stark war, unter dem Oberbefehl von Großwesir Kara Mustapha gegen Wien vor. Die Türken umkreisten die Stadt mit ihren Geschützen und griffen an. Viele Wiener Bürger mußten zu den Waffen eilen, unter ihnen auch der Fleischermeister Christian Winkelmüller.

Sein Geschäft betrieb er in der Vorstadt Sankt Ulrich zusammen mit seiner Frau Mechthild. Bevor er nun Abschied nahm, versuchte er seine Frau davon zu überzeugen, daß sie rechtzeitig Schutz in der befestigten Innenstadt suchen sollte, denn Sankt Ulrich war schon in einem früheren Türkenkrieg arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Seine Frau versprach seinem Rat zu folgen und so zog er beruhigt in das Truppenlager.

Die Kämpfe entbrannten, die Türken rückten unerwartet schnell in die Vorstadt ein und es gab keine Möglichkeit mehr in die Innere Stadt zu gelangen. Viele Bewohner wurden gefangengenommen, unter ihnen auch Mechthild, und in das türkische Lager gebracht. Dort, wo schon viele Christen festgehalten wurden, mußte sie schwer arbeiten, doch es geschah ihr kein Leid.

So kam der 12. September 1683 heran und die große Entscheidungsschlacht entbrannte. Laut hörte man das Donnern der Kanonen und das Schreien der Verwundeten. Die christlichen Gefangenen beteten und dank Gottes Hilfe gelang es den Verteidigern von Wien, unter Graf Rüdiger von Starhemberg, zusammen mit dem polnischen und deutschen Entsatzheer die Türken vernichtend zu schlagen. In dem darauf folgenden heillosen Durcheinander, die türkischen Soldaten flüchteten Hals über Kopf, konnten die Gefangenen heimkehren.

Auch Mechthild machte sich auf den Heimweg. Als sie an einem Trupp kaiserlicher Reiter vorbeikam, warf ihr einer von ihnen einen Ledersack zu, der geformt war wie eine Schlange. Anscheinend hatte er dafür keine Verwendung und auch Mechthild wußte nichts damit anzufangen, aber sie steckte ihn als Erinnerung an den Tag der Befreiung ein.

Als sie zu Hause ankam, fand sie ihr Haus fast völlig zerstört vor. Traurig setzte sie sich in eine Mauernische und sie mußte nicht lange warten, da stand auf einmal ihr Mann heil und glücklich vor ihr. Nachdem sie ihn freudig begrüßt hatte, zeigte sie ihm den Ledersack. "Das ist ja ein großes Glück!", rief Christian aus. "Du hast da eine Geldkatze bekommen. Darin bewahren die Türken ihr Geld auf und binden es sich dann um den Körper." Mit diesen Worten öffnete er den Sack und heraus kullerten viele Goldstücke.

Christian ging zu einem befreundeten Goldschmied, verkaufte ihm die Münzen und erhielt dafür 1500 Dukaten. Mit diesem Geld konnten sie ihr Haus neu aufbauen und sie eröffneten darin eine Gastwirtschaft, die sehr beliebt bei den Wienern war. Über dem Haustor ließ Christian Winkelmüller eine Tafel anbringen, auf der stand:

"Dieses Haus steht in Gottes Hand,
Zur güldenen Schlange ist es genannt."

Über hundert Jahre stand das Haus bis es baufällig wurde und abgerissen werden mußte. Später kaufte die Stadt den Grund und erbaute darauf ein Schulhaus.

Quelle: Wien in seinen Sagen, Eva Bauer, Weitra 2002, S. 189