Die Schätze der Wiener Bibliothek
Gleichwie der Römischen Kaiserlichen Majestät der Vorzug gebührt vor allen Kurfürsten und Fürsten, also finde ich auch mich obligieret (veranlaßt), der kaiserlichen Bibliothek die Oberstelle unter den teutschen Bibliotheken zu geben. Diese überaus herrliche, kostbare und wohlbesetzte Bibliothek steht zu Wien als der kaiserlichen Residenz und hat sich noch kaum wieder erholt von dem Schrecken, den ihr die plötzlich umringende und heftig zusetzende, überaus große türkische Armee neulicher Tagen eingejagt hat. Kaiser Maximilianus I. hat sie fundiert, und hat der berühmte Medicus Johannes Sambucus gar viel dabei getan. Der große Leopold I. aber hat diese Bibliothek vermehrt und in einen solchen Stand gebracht, daß sie mit den allerberührntesten in der Welt um den Vorsitz kämpft, und wird der Name Petri Lambecii, des wohl meritierten (verdienstvollen) kaiserlichen Bibliothecarii wohl nimmermehr erlöschen, weil er mit seinem Fleiß und ungesparten Mühe diese mehr als herrliche Bibliothek in einen unvergleichlichen Glanz gebracht hat.
Was die Anzahl der Bücher belangt, so hat es diese Bibliothek nicht nötig, einer einzigen zu weichen, wohl aber ist zu glauben, daß sie in diesem Stücke alle europäischen Bibliotheken übertrifft. Sie wird in acht Gemächer eingeteilt, welche so häufig mit Büchern angefüllt sind, daß viel derselben auf dem Estrich zu liegen scheinen, und sie stehen so dichte, daß man kaum hindurch gelangen mag, sie gebührlich zu besehen. Die geschriebenen Bücher stehen in ihren Sprachen von den gedruckten abgesondert und sind verteilt in theologische, juridische, medizinische, philosophische, historische und philologische. Man wird schwerlich an einem Orte eine solch rare Versammlung finden, gleich wie hierselbst sind die Manuskripten in einem Teile der ersten Kammer von hebräischen, syrischen, arabischen, türkischen, armenischen, äthiopischen und chinesischen Büchern. Hier findet man auch die besten Bücher aus der Bibliothek Marthaei Corvini wie auch Wolfgangi Lazii Bibliothek, welcher Bibliothecarius gewesen, und noch drüber 3000 Bücher aus vorangezogenen Sambuci Bibliotheke.
Augerius Busbequius, weiland Bibliothecarius dieser kaiserlichen Bibliothek hat sie gleichergestalt sehr vermehrt mit einer ansehnlichen Zahl griechischer Manuskripten von Konstantinopel, auf welchen er mit seiner Hand gezeichnet hat diese Worte: Aug. Busbeek emit Constantinopoli. (Aug. Busbeek hat diese Bücher zu Konstantinopel erhandelt.) Auch sind sehr viele Bücher hierher gebracht worden aus der Bibliothek Johannis Cuspiniani kaiserlichen Bibliothecarii und Rats, und wer kann alle Bücher zählen, die Ferdinandus III. christmildester Gedächtnis aus der fuggerischen Bibliothek (so aus 6000 Bänden bestanden) hierher hat bringen lassen? Imgleichen sind vor wenig Jahren aus der ambrosianischen Bibliothek von Innsbruck viele Bücher hierher gebracht worden durch den edlen Lambecium, itzigen kaiserlichen Bibliothecarium, Rat und Historicum, der gleichfalls vor seine Person eine fürtreffliche Buchkammer aufzuweisen hat und ohne allen Zweifel dermaleins als ein herrliches Supplementum vor die kaiserliche Bibliothek dienen wird. Dannenhero rühmt man die Zahl aller Bücher anitzo zum wenigsten auf 80000, welche noch täglich anwächst durch diejenige neue Bücher, die jahraus, jahrein in Deutschland gedruckt werden, da man von jedem der kaiserlichen Bibliothek zum wenigsten zwei Exemplaria zusenden muß.
Man hat zu Wien herrliche Gelegenheit, schöne Manuskripta aus Türkei zu erlangen, angemerkt der römische Kaiser dieselbe durch seinen Ordinari-Residenten an der ottomanischen Pforten leichtlich erhalten kann.
Ich habe mich durch sonderliche Gunst meines Freundes Lambecii in diese weltberühmte Bibliothek zum öftern verfügt, und er ließ mir alle Bücher zukommen, die ich verlangte, er präsentierte mir die, welche er vor die raresten achtete, unter denen ich nachfolgende nur einführen und nennen will:
1. Einen Brief, der von dem gegenwärtigen Kaiser in China in chinesischen und tartarischen Buchstaben an den allerglorwürdigsten heutigen römischen Kaiser geschrieben worden, er war gewickelt in eine sehr feine Rolle.
2. Noch eine andere Rolle in unbekannten Buchstaben, die doch eine ziemliche Gleichförmigkeit mit den griechischen hatten.
3. Ein Buch in russischer Sprache.
4. Ein sehr schönes Manuskriptum von Ptolomaeo mit illuminierten (farbigen) Karten.
5. Das allerälteste Manuskriptum von Livio, in großen Buchstaben, doch ohne Unterschied oder Kommata und deswegen gar unverständlich zu lesen. Dieses war 1000 Jahre alt und vor wenigen Jahren aus der Bibliothek von Innsbruck hierher gebracht.
6. Ein sehr schönes griechisches Manuskriptum von Dioscoride, welches vor mehr als 1100 Jahren mit großen Buchstaben ohne einige Distinktion geschrieben ist, dieses präsentiert alle Pflanzen, die nach dem Leben abgebildet sind, und sieht man darinnen auch die Conterfaite von Dioscoride, Galeno, Pamphilo, Crateva und andern uralten Medicis. Aug. Busbequius hat dieses Buch zu Konstantinopel von einem Juden um 100 Dukaten erkauft.
7. Ein Buch von vielen mathematischen Figuren in chinesischer Sprache.
8. Noch ein anderes chinesisches Buch mit Figuren und Gemälden.
9. Ein sehr rares uraltes griechisches Manuskript mit Buchstaben in der Größe eines Glieds vom Daumen, ohne Striche, Akzenten und Punkten, auch ohne Unterscheidung der Wörter.
10. Noch ein sehr altes griechisch Manuskriptum, das Buch der Erschaffung begreifend, in großen Buchstaben, ohne Distinktion und Akzenten, vor mehr als 1300 Jahren geschrieben, hierinnen sind 48 Zeichnungen oder Bildnissen in Miniatur von Wasserfarbe, sehr dienlich um hinter die Kleidung und Trachten der Alten zu kommen, wie sie es auf ihren Festen gehalten, in welcher Postur (Haltung) sie Mahlzeit hielten, wie ihnen die Knechte dienten und was für musikalische Instrumente sie gehabt haben. Hier habe ich angemerkt einen güldenen Flecken auf Josephs Brust, wie auch die Zeremonien bei Hinrichtung des Bäckers Pharaonis, als dessen Haupt durch ein zweifaches oder gespaltenes Stück Holz gesteckt und die Hände auf den Rücken gebunden waren.
11. Ein schön Buch von Albrecht Dürer, worinnen viel schöne Gemälde in Miniatur wie auch eine überaus rare Sphaera (Himmelskugel), in welcher Mittel ein wohl gezeichneter Globus zu sehen.
12. Ein schön Buch von Michael Angelo, worin nebst andern raren Dingen in der Baukunst, alle Absätze und Zeichnungen von Belvedere ins kleine gar artig verzeichnet und entworfen sind.
13. Ein schöner Alkoran in Arabisch mit türkischen Erklärungen dazwischen.
14. Die Bibel in koptischer und persischer Sprache.
15. Eine Bibel, mit Lutheri eigener Hand gezeichnet und mit schönen Anmerkungen an verschiedenen Orten von diesem wackern Manne interliniiert.
16. Ein schön griechisches Manuskriptum des Neuen Testaments, so über 1500 Jahr alt und mit güldenen Lettern auf Purpur geschrieben ist.
Man sieht auch hier ein magisches oder Zauberglas, welches Kaiser Rudolphus überkommen hat, in welchem man einige Apparitiones oder Erscheinungen sehen kann, wie die Geister darin wandeln.
Überdem findet man hier auch viele alte griechische, römische und gotische Medaillen von Gold, Silber und Kupfer, in der Zahl auf 16 000. Unter den kupfernen Pfenningen sollen zwei sein, von denen sehr raren, die Kaiser Marcus Otto hat schlagen lassen.
Quelle: Eberhard Werner Happel, Relationes Curiosae,
Hamburg 1684, S. 167 ff.