DICHTER DER LETZTEN DINGE
Ein Ausschnitt aus Grillparzers Selbstbiographie nach dem Verbot weiterer Aufführungen von "König Ottokars Glück und Ende" am Hofburgtheater:
Da ich bei der damals in Deutschland herrschenden Erbitterung gegen Österreich nicht hoffen konnte, für meinen durchaus österreichisch gehaltenen Ottokar einen Platz auf den übrigen deutschen Bühnen zu finden, und zugleich in der Heimat Rückfälle der Zensur fürchtete, so hatte ich zugleich mit der Aufführung mein Stück in Druck erscheinen lassen, wo sich denn das Merkwürdige begab, daß mein Verleger an einem Tage, dem der Aufführung nämlich, neunhundert Exemplare verkaufte, ein Absatz, der freilich in der Folge ins natürliche Verhältnis zurückkehrte.
Als von einem gedruckten Stücke, für das man daher kein Honorar zu bezahlen brauchte, bereitete auch ein zweites Wiener Theater, das an der Wien, die Aufführung vor. Wie diese beschaffen war, kann man daraus abnehmen, daß der mit der Rolle des Ottokar betraute Schauspieler Rott am Tage nach der ersten Darstellung im Burgtheater einen meiner Bekannten über den gestrigen Erfolg, vor allem aber über die Art fragte, wie Anschütz den Ottokar gehalten habe. Als ihm dieser sagte: "Streng, heftig, stark", erwiderte Rott, der das Stück noch gar nicht kannte: "Ich werde ihn mild geben."
Ich muß noch eine Anekdote als hierhergehörig anführen, und zwar eine Zensuranekdote. Ein paar Jahre später fuhr ich mit dem Hietzinger Gesellschaftswagen von Hietzing nach Wien. Ich kam neben einen Hofrat der Zensurhofstelle zu sitzen, der mir schon früher als Polizeidirektor in Venedig während meines dortigen Aufenthaltes alle Freundlichkeiten erwiesen hatte und mir bis auf diesen Augenblick immer zugetan geblieben ist. Er begann das Gespräch mit der damals in Wien stereotypen Frage, warum ich denn gar so wenig schriebe. Ich erwiderte ihm, er als Beamter der Zensur müsse den Grund wohl am besten wissen. "Ja", versetzte er, "so seid ihr Herren! Ihr denkt euch immer die Zensur als gegen euch verschworen. Als Ihr 'Ottokar' zwei Jahre liegenblieb, glaubten Sie wahrscheinlich, ein erbitterter Feind verhindere die Aufführung. Wissen Sie, wer es zurückgehalten hat? Ich, der ich, weiß Gott, Ihr Feind nicht bin." "Aber, Herr Hofrat", versetzte ich, "was haben Sie denn an dem Stücke Gefährliches gefunden?" "Gar nichts", sagte er, "aber ich dachte mir: man kann doch nicht wissen !" Und das sprach der Mann im Tone der wohlwollendsten Gutmütigkeit, so daß man wohl sah, der mit den Angelegenheiten der Literatur betraute Beamte habe nicht die geringste Vorstellung vom literarischen Eigentum sowie, daß die Arbeit des Dichters wenigstens ebensoviel Anspruch auf Geltung und Vergeltung habe als die des Beamten oder des Handwerkers.
Daß unter diesen Umständen in dem damaligen Österreich für einen Dichter kein Platz sei, wurde mir immer deutlicher. Ich versank immer mehr in eine hypochondrische Stimmung, in der mich weder ein früher vorbereiteter Stoff zur Ausführung reizte noch ein neuer hinzukam, welches letztere von da an der Grundtypus meiner poetischen Produktionskraft geblieben ist. Auf alte Stoffe zurückzukommen, hat aber immer etwas Gefährliches. Selbst die Fortschritte in der Bildung, die man in der Zwischenzeit gemacht hat, werden zu Hindernissen. Man fühlt sich genötigt, am Plan zu ändern, was manchmal auf die Geschlossenheit der Form, manchmal sogar auf die Einheit der Anschauung von nachteiliger Wirkung ist.
Mir war damals zumute, als ob ich nie mehr etwas schreiben würde.
Ein kennzeichnendes Epigramm Franz Grillparzers:
Ich rede nicht, wo jeder spricht,
Wo alle schweigen, schweig' ich nicht,
Weh'euch und mir, wenn je von uns ich wieder singe,
Ich bin der Dichter der letzten Dinge.
Quelle: Grillparzers Werke. Wien o. J.
Anmerkung: historische Legende über die Zustände im Wiener Biedermeier.
Franz Grillparzer 1791 - 1872