KARA MUSTAPHA UND DIE STERNDEUTER
Nachdem Kara Mustapha mit seinem Heere von Konstantinopel nach Wien aufgebrochen war, hielt er seine erste größere Rast in Adrianopel; der Großwesir war wie Wallenstein von unersättlichem Ehrgeiz erfüllt und gerade so abergläubisch; er suchte so wie dieser aus der Stellung der Sterne sein Schicksal zu lesen und hatte stets drei arabische Wahrsager und Sterndeuter bei sich.
Als er im Lager bei Adrianopel in seinem Zelte ruhte und von allerlei Zukunftsplänen erfüllt war, brach plötzlich ein furchtbarer Sturm los, der das Zelt umstürzte und dem Großherrn den Turban vom Kopfe riß. Kara Mustapha erschrak heftig und mit ihm seine ganze Umgebung, welche diesen Unfall zuungunsten der türkischen Waffen deutete. Der Großwesir aber, dem seine Wahrsager schon früher "beständiges Glück bis vor die Pforten Roms" geweissagt hatten, fand in diesem Zeichen, daß das ungeduldig zürnende Siegesglück die osmanischen Waffen mit Windeseile auf den Feindesboden tragen werde.
Fast schien der Ausspruch des Großwesirs in Erfüllung zu gehen, er stand nun vor den Toren Wiens, und seine Scharen lagerten in 25.000 Zelten vor der Stadt, dem Bollwerk der Christenheit, dem Schlüssel zu Deutschland.
Über alle Zelte ragte Kara Mustaphas Zelt, welches bei St. Ulrich stand, hervor. Es prangte in der Farbe des Propheten, grün, und starrte von Gold. Das Innere war in mehrere Gemächer geteilt, deren Wände und Fußböden mit kostbaren Teppichen geschmückt und die ihren besonderen Zwecken entsprechend eingerichtet waren, je nachdem sie zur Abhaltung des Kriegsrates, zur Erteilung von Audienzen, zum Gebete, zum Bade oder zur Ruhe bestimmt waren. Im innersten Gemache war die grünseidene Fahne des Propheten untergebracht.
Siegesbewußt und stolz, doch mißlaunig saß der Großherr am Morgen des 15. Juli 1683 in seinem Zelt; ein böser Traum hatte ihn beunruhigt; ihm hatte geträumt, daß sich eine große rote Schlange um seinen Körper gewunden und ihn arg bedrängt habe.
Schnell ließ er seine Wahrsager kommen, damit sie ihm den Traum deuteten. Als er ihnen davon Mitteilung machte, erblaßten alle drei und keiner öffnete den Mund zur Traumdeutung. Kara Mustapha wurde unwillig und befahl einem von ihnen, sogleich seine Meinung zu sagen: "O großmächtiger Herr, verschließe lieber deine Ohren; denn was ich dir künden kann, ist nur Unheil und Unglück."
Der Großwesir ließ den Wahrsager nicht ausreden, sprang erzürnt auf und ließ demselben durch seine Sklaven eine derbe Züchtigung angedeihen. Die beiden andern, hiedurch erschreckt, deuteten den Traum auf das günstigste und wurden reich beschenkt entlassen.
Kara Mustapha ging aber nachdenklich in seinem Zelte auf und ab; denn die Worte des ersten Sterndeuters kamen ihm nicht mehr aus dem Sinn.
Die Belagerung der Stadt ließ ihn jedoch seinen bösen Traum bald vergessen, und wenn des Nachts die Waffen ruhten, so blickte er gen Himmel und sein eingebildeter Glücksstern leuchtete ihm schöner denn je.
Doch die Schlacht am Kahlenberge schreckte den Großwesir aus seinen Siegesträumen: 25.000 seiner Streiter fielen durch das Siegesschwert der Christen, 370 Kanonen, 15.000 Zelte, darunter auch jenes Kara Mustaphas, dessen Waffen und Streitroß, eine große Summe Geldes, ungeheure Vorräte: 15.000 Büffel, Ochsen, Kamele und Maultiere, 10.000 Schafe, 100.000 Malter Korn, ganze Magazine von Reis und Kaffee; auch eine unglaubliche Menge von Munition fiel den Siegern in die Hände; der übermütige Großwesir rettete mit Not das nackte Leben.
Bei Belgrad ereilte ihn sein Geschick; vom christlichen Heere verfolgt und geschlagen, zog er sich die Ungnade seines Herrn zu; dieser schickte ihm die "seidene Schnur", und Kara Mustapha mußte sich von einem seiner Sklaven damit erdrosseln lassen. Bei seinem Ende gedachte er wohl noch mit Schaudern seines Traumes von der roten Schlange, die seinen Körper umstrickte. So ruhmlos endete ein Mann, vor dem die ganze Christenheit gezittert hatte. Merkwürdig sind Gottes Wege. Dem Bischof Kollonitz ließ Kara Mustapha sagen, Wien werde fallen und der Kopf des Bischofs werde das Siegeszeichen türkischen Glückes werden. Aber es kam anders. Es wurde der Kopf Kara Mustapha das schaurige Denkmal des ruhmwürdigen Sieges der Christenheit über den Halbmond. Prinz Eugen hatte auf einem seiner Ruhmeszüge gegen die Türken auch den Kopf Kara Mustaphas erbeutet und ihn mit einem geschichtlich denkwürdigen Briefe an Bischof Kollonitz geschickt, der ihn der Stadt Wien zum ewigen Gedächtnis schenkte. Noch heute kann man diesen Kopf in dem Museum des neuen Rathauses sehen.
Quelle: Die schönsten Sagen aus Wien, o. A., o. J., Seite 301