Die Kinder Adams
Wenn seine Räte ihn ermahnten, daß er zu gelind und gütig sei, antwortete Rudolf: "Es reuet mich öfter, daß ich zu ernst und streng gewesen bin, nimmer aber soll es mich reuen, daß ich sanft und gütig gewesen bin." Dabei war Rudolf äußerst leutselig und herablassend, liebte einen heiteren Scherz und verzieh manchen mit seiner Person zu weit getriebenen. Dagegen war er ein Feind von eigennützigen Spaßmachern.
Solch ein Bettler, welcher wußte, daß der Kaiser in guter Laune nicht leicht durch etwas beleidigt werde, vertraut ihm einst am Tor des Münsters den Weg und sagte: "Herr, wir sind alle Kinder eines Vaters. Also bin ich Euer Bruder, und es wäre billig, wenn ihr meiner Armut zu Hilfe kämet!" "Gut", sagte Rudolf, "geh indessen heim, einen Sack zu holen, und warte, bis ich zurückkomme. Jetzt muß ich zum heiligen Amt." Voll Freuden lief der Possenreißer heim und las den tiefsten weitesten Sack aus. Als der Kaiser aus dem Dom trat, stand er schon in der Halle und hielt ihm mit Kinn und Händen den weit ausgespannten Sack vor. Der Kaiser streckte die Hand aus, ließ einen Dreier hineinfallen und sagte: "Wohlauf, Bursche, du hast noch mehr Brüder im Reich, zieh von Ort zu Ort, gibt dir jeder nur so viel wie ich, so wirst du reicher, denn wir alle."
Quelle: Ziegelhauser, Leopold, Schattenbilder
der Vorzeit, Bd. 1 - 4, Wien 1844, Bd. 2, Nr. 118 b