Tilee Kolup, der falsche Kaiser
Zur Zeit Rudolfs von Habsburg gab sich in Wetzlar und andern Orten ein Mann für Kaiser Friedrich aus. Man erzählte, das Geschirr, das der angebliche Kaiser Friedrich in Wetzlar zum Essen und Trinken benützte, bestände aus reinem Golde. Rudolf fragte begierig, woher denn der Mann das viele Gold nähme. Man erwiderte ihm, der Wirt, bei dem Friedrich wohnte, sei sehr in Ängsten wegen der Bezahlung seiner großen Zeche gewesen. Als er darüber eine Äußerung zu seinem Gast getan hätte, wäre er von diesem mit den Worten beiseite genommen worden: "Sorge dich nicht um dein Geld, reite morgen früh allein aufs Feld, ehe die Sonne aufgeht. Du wirst Gäste vom Osten kommen sehen. Frage sie nur, ob sie meine Kämmerer seien, und wenn sie ja sagen, so führe sie ohne Aufenthalt zu mir."
Dem Wirte dauerte ob dieser seltsamen Auskunft die Nacht zu lang, und immer wieder dachte er daran, wie es mit ihm werden würde, wenn die Boten nicht kämen. Schon lange vor Sonnenaufgang eilte er auf die Straße; aber wie verwunderte er sich, als er drei pechrabenschwarze Mohren dahertraben sah. Trotzdem ihm die Haare zu Berge standen, begrüßte er sie und fragte, ob sie die Kämmerer des Kaisers seien, und als sie das bejahten, sagte er freudig, sie möchten nicht säumen, er würde sie zum Kaiser führen. Mit besonderer Genugtuung stellte der Wirt fest, daß die Fremden zwei wohlbeladene Saumtiere hatten.
Als der Kaiser die drei Kämmerer begrüßt hatte, ging er mit ihnen in eine Kammer; was sie darin getan haben, hat kein Mensch erfahren. Aber nicht lange darauf nahm der Kaiser den Wirt an die Hand, führte ihn vor einen Saumschrein und sagte: "Lieber Wirt, nimm, was ich dir schuldig bin, und von dem übrigen tue uns ferner gütlich wie zuvor!" Als sich die Boten bald darauf zu neuer Reise anschickten, bat der Kaiser den Wirt, er möchte sie doch ein wenig vor die Stadt begleiten. Der Wirt erfüllte die Bitte des Kaisers, konnte aber nachher nicht sagen, wohin die Gäste ihren Weg genommen hatten, auch sonst wußte niemand etwas davon zu erzählen.
Als alle diese Sachen Rudolf von Habsburg mitgeteilt wurden, lachte er laut darüber, bezeichnete den Menschen als einen Betrüger und maß der ganzen Angelegenheit keine Bedeutung bei. Doch die Sache wurde ernster; die Leute liefen dem vermeintlichen Kaiser Friedrich zu, und von manchen Seiten ergingen Mahnungen an Rudolf, er möchte den Anhang des Betrügers nicht so groß werden lassen. Als der Erzbischof von Mainz meldete, der vermeintliche Friedrich hätte sich erkühnt, ihn nach Wetzlar zu einer geheimen Unterredung zu fordern, rief Kaiser Rudolf zornig aus: "Jetzt sehe ich wohl, daß ich etwas tun muß! Gern hätte ich ja dem Betrüger gegönnt, sich auf seine Weise durchs Leben zu schlagen, aber er will doch zu hoch hinaus!" Und da er erfuhr, daß Friedrich gegen Neuß gezogen war, machte er sich hinter ihm her und richtete an die Bürger von Neuß den Befehl, ihm den Betrüger ohne Verzug auszuliefern. Auf die Antwort, sie fürchteten sich, Friedrich auf irgendeine Weise anzutasten und festzunehmen, tat der Kaiser die Bürger in die Acht und belagerte die Stadt.
Bald erhub sich Zwiespalt in der Stadt, indem einige für die Auslieferung stimmten, andere aber es für schädlich hielten, den Herrn seinen Knechten zu überantworten.
Endlich unternahmen es zwei weise und furchtlose Männer, Friedrich von Nürnberg und Eberhard von Katzenellenbogen, den falschen Friedrich zu entlarven. Nachdem ihnen von den Bürgern freies Geleit zugesichert worden war, ritten sie in die Stadt und erlangten eine Unterredung mit dem geheimnisvollen Kaiser. Aus dieser Unterredung stellten sie fest, daß es sich bei dem angeblichen Kaiser um einen Betrüger handelte, ganz abgesehen davon, daß er für Kaiser Friedrich viel zu jung war. Sie vermochten nun die Bürger zu überreden, die Entscheidung in die Hände des vermeintlichen Kaisers selbst zu legen und diesen zu bitten, in das Lager Rudolfs von Habsburg hinauszureiten; denn, so fügten beide Gesandten hinzu, Rudolf habe noch niemals als ungerechter Mann gehandelt. Wäre jener angebliche Friedrich in Wirklichkeit der verschwundene Kaiser Friedrich, so würde ihm sein großer Geist wie ehemals in den schwierigsten Lagen auch jetzt glücklich helfen.
Die Bürger waren ob dieses glücklichen Ratschlags hocherfreut. Der falsche Friedrich mußte sich, wenn auch ungern, zum Ritt bequemen, vorher aber gab er seinen Leuten noch den Befehl, nach Frankfurt zu gehen und seiner dort zu harren. "Was mir auch bei König Rudolf geschieht", so sprach er, "ich komme morgen zu euch!"
Aber der vermeintliche Friedrich übte solch bezaubernde Gewalt aus, daß er durch seine Reden selbst im Lager Rudolfs von Habsburg noch manchen betörte; vor diesen geführt, wußte er auf alle Fragen keck und unverzagt zu antworten. Kaiser Rudolf erhielt samt seinen Räten die Überzeugung, daß der Gegner ein gemeiner Betrüger wäre und verdammte ihn zum Feuertode.
Nicht alles Volk war des Kaisers Meinung. Viele behaupteten zwar, Friedrich
wäre ein Betrüger, hieße Holzschuh und habe nur die Bücher
der Schwarzkunst gelesen, andere aber beteuerten, er sei in Wirklichkeit
der Kaiser, für den er sich ausgegeben. Nach seinem Feuertode hätte
man die Kohlen seiner Asche gesammelt, aber keine Gebeine dazwischen gefunden,
ein Zeichen dafür, daß er nicht gestorben wäre, sondern
Gott ihn noch lebendig für eine fernere Zukunft aufzubewahren gedächte.
Der Glaube an ihn und die Hoffnung an seine Bestimmung waren also mit
seinem Tode nicht vernichtet.
Quelle: Werhan, Karl, Die deutschen Sagen des Mittelalters, 2 Bde., München 1920, MA I, Nr. 176