Der Sieveringer Sagenkreis
um Karl und Agnes
II. [Version]
Wo sich jetzt das
Brünnlein befindet, stand vor Zeiten eine mächtige Eiche, die
eines Tages ein Kohlenbrenner umhauen wollte. Da vernahm er hinter sich
einen Laut wie von einem Kinde. Er sah sich um und erblickte ein kleines,
wunderschönes Mädchen. Das nahm er zum großen Ärger
seines Weibes mit nach Hause und erzog es neben seinem Karl. Mit dem Findling
war auch Glück in das Haus gekommen, denn alle Kohlen, die das wunderbare
Mädchen berührte, verwandelten sich in lauteres Gold. Der Köhler
baute nun neben jener Eiche eine Kirche und ein prachtvolles Schloß.
Karl und Agnes wuchsen aus und liebten sich täglich mehr, als plötzlich
ein Krieg ausbrach und Karl mitziehen mußte. Nach Jahren kam er
heim, reich an Ehren und Würden, und als er so vornehm gekleidet
in das Zimmer trat, rief Agnes:
"Wenn das der Karl ist, so will ich verdammt sein".
Kaum waren diese
Worte ausgesprochen, als das Schloß mit allem, was darin war, in
die Tiefe sank. Nur das Brünndl bezeichnet noch die verhängnisvolle
Stätte. Karl und Agnes finden seitdem nimmer Rast und Ruhe. Zuweilen
erscheinen sie im Walde und teilen Gaben an die Armen aus.
Quelle: Die Sagen und Legenden
der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 6, S.
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Für SAGEN.at korrekturgelesen von
Anja Christina Hautzinger, April 2005.