Der Sieveringer Sagenkreis um Karl und Agnes

VI. [Version]

Ein armer Mann hatte alle Eigenschaften, um Karl und Agnes zu erlösen. Am St. Johannistag ging er zufällig über die Agneswiese. Als er gerade durch das Gebüsch kam, das die Agneswiese von der Karlswiese - beide bilden die Jägerwiese - scheidet, trat ihm ein seltsamer Jägersmann entgegen, der sich als "Kohlenbrenner-Karl" zu erkennen gab und ihn bat, er möge ihn doch erlösen. Er bestellte ihn auf künftigen Freitag an jene Stelle; um zwölf Uhr werde ihm ein feuerschnaubender Drache entgegenkommen, der einen Schlüsselbund im Rachen habe. Diesen Schlüsselbund solle er dem Drachen entreißen und die Erlösung sei vollbracht.

Wirklich war der Mann am Karfreitag schon um acht Uhr abends an Ort und Stelle. Um zwölf Uhr erhellte ein ungeheurer Lichtschein den Wald, zugleich sah er ein prächtiges Schloß festlich erleuchtet. Es faßte ihn aber ein gewaltiger Schrecken, als er den feuersprühenden Drachen mit dem Schlüsselbund im Nachen erblickte, und als er näher kam, sank der Mann ohnmächtig zu Boden. So blieb er liegen bis zum Morgen, und als er zu sich kam, war alles verschwunden. In einigen Tagen starb er aber.


Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 6, S. 11f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Anja Christina Hautzinger, April 2005.