Der Basilisk in der Schönlaterngasse
Am 26. Juni des Jahres 1212 entstand am frühen Morgen in dem Hause eines Bäckermeisters in jenem Stadtteile, der dazumal ,,unterm Tempelhof" hieß und jetzt Schönlaterngasse benannt wird, großes Schreien und Lärmen. Man hörte Wehe- und Hilferufe, und bald versammelte sich eine große Menge neugieriger Leute, die sich erkundigten, was das klägliche Geschrei bedeuten solle. Endlich erschien auch der Stadtrichter zu Pferde, der nachfragte, ob jemand Schaden oder Gewalt angetan worden wäre.
Da trat der Bäckermeister mit bleichem Antlitz aus dem Hause und
erzählte dem Stadtrichter die Ursache all dieser Unruhe. Eine seiner
Mägde war hinaus in den Hofraum gegangen, um aus dem Ziehbrunnen
Wasser zu schöpfen. Bald jedoch kehrte sie unverrichteter Dinge zurück
und meldete unter großem Geschrei, daß aus dem Brunnen ein
greulicher Gestank heraufdringe, der sie beinahe ohnmächtig gemacht
habe. Es funkle und glitzere auch ganz absonderlich in dem Brunnen unten
und sie sei vor Schreck beinahe des Todes geworden. Einer der Bäckerknechte
verlachte die Magd ob ihrer Furcht, und der rüstige Bursche erbot
sich, das seltsame Wunder genauer zu besehen. Er ließ sich an ein
Seil binden und mit einer angezündeten Pechfackel in den Brunnen
hinab. Kaum war er aber einige Klafter hinabgekommen, erhob auch er ein
entsetzliches Geschrei und wurde halbtot wieder schleunigst heraufgezogen.
Nachdem man ihn sorgfältig gelabt hatte, erzählte er mit bebender
Stimme: Als er in den Brunnen hinuntergeblickt, habe er ein gar gräßliches
Tier bemerkt, fast in Gestalt eines großen Hahns, aber greulich
anzusehen, mit vielzackigem Schuppenschweife, plumpen, warzigen Füßen,
wunderlich glühenden Augen und einem Krönlein auf dem Haupte.
Es habe ihm geschienen, es sei das unholde Tier aus einem Hahn, einer
Kröte und einer Schlange zusammengesetzt, und in seinem Leben habe
er nichts so Abscheuerregendes gesehen. Er hätte auch sogleich die
Augen geschlossen und um Hilfe geschrien, denn es sei ihm vorgekommen,
als ob der glühende Blick des Ungeheuers das Blut in seinen Adern
erstarren mache, und er wäre, da ihm der widerlichste Gestank die
Brust beengt und den Atem verlegt habe, sonder Zweifel jämmerlich
gestorben, wenn man ihn nicht schnell hinaufgezogen hätte.
Das Volk stand erstaunt bei dieser Erzählung und wußte sich
keines Rates. Da trat ein gelehrter und in der Naturwissenschaft wohl
erfahrener Arzt hervor und erklärte nun den Leuten, das greuliche
Tier werde Basilisk genannt, entstünde wunderbarerweise aus einem
Ei, das ein Hahn gelegt und eine Kröte ausgebrütet habe; daß
der berühmte Naturforscher Plinius ein solches Tier beschrieben und
gesagt habe, dessen Blick sei so giftig, daß jeder, den er damit
erfasse, davon sterben müsse und daß er nur getötet werden
könne, wenn man ihm einen blanken Metallspiegel vorhalte. Wenn er
dann darin sein eigenes Bild erblicke, entsetze er sich derart über
die eigene Scheußlichkeit, daß er vor Wut und Ingrimm zerberste.
Übrigens sei ein solches Unternehmen immer mit großer Gefahr
verbunden und wolle er damit keine Probe anstellen.
Da war nun guter Rat teuer. Niemand fand sich, der das Abenteuer gewagt
hätte. Endlich gab der Stadtrichter den Befehl, große Steine
und Erde herbeizuschaffen. Diese wurden in den Brunnen geworfen und somit
das Untier zerdrückt und vernichtet. Der Bäckerjunge starb aber
noch am selben Tage.
Zum ewigen Gedächtnis wurde nun das getreue Abbild des scheußlichen
Ungeheuers in einer Nische des Hauses aufgestellt und mit einer Inschrift
versehen.
Quelle: Die Sagen und Legenden
der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 12, S.
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Für SAGEN.at korrekturgelesen von
Anja Christina Hautzinger, April 2005.