Zum goldenen Brunnen
Das Wirtshaus zum Goldenen Brunnen in der Taborstraße war eines
der ältesten Einkehrhäuser der Leopoldstadt. Das einst blühende
Einkehrwirtshaus war durch Kriegsnot und Seuchen ganz herabgekommen und
die Besitzer litten bittere Not. Da ging die Wirtin in die Stephanskirche
und betete dort zum Gnadenbild der Mutter Gottes um Hilfe. Langsam neigte
sich das Gnadenbild zur Beterin herab, und deutlich hörte sie die
Worte: "Gehe heim und schöpfe aus dem Brunnen, der im Hof steht,
Wasser für deine Pferde. Schöpfe aber nicht mehr, als die Tiere
brauchen. Du wirst am Grunde eines jeden Eimers ein Goldstück finden."
Hocherfreut eilte die Wirtin heim und tat, wie ihr geheißen worden
war. Die Goldstücke, die sie täglich im Eimer fand, stellten
bald die alte Wohlhabenheit des Hauses wieder her. Der Einkehrgasthof,
der sich wieder eines starken Zuspruches erfreute, erhielt im Volksmunde
den Namen "Zum Goldenen Brunnen". Aber der Wirt wurde bald übermütig,
und die Goldstücke, die er im Eimer täglich fand, genügten
ihm nicht mehr. Heimlich stand er eines Nachts auf und schöpfte Eimer
und Eimer voll bis zum Morgen. Aber er fand kein einziges Goldstück
mehr.
Quelle: Die Sagen und Legenden
der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 107, S.
119f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von
Anja Christina Hautzinger, Mai 2005.