Der Tödlicher Denkstein
Als Heinrich Fasomirgott, der erste Herzog von Österreich ob und
unter der Enns, seine Residenz vom Kahlenbergerschlosse nach Wien verlegte,
waren an der neuerbauten Burg, die unfern des Jagdhauses Leopolds des
Heiligen lag, die Bildnisse der Mäßigkeit mit einem kleinen
Trinkgefäße und einem am linken Arme hängenden Zaume,
die Beständigkeit mit einem Würfel in der Hand, auf eine Säule
sich stützend, die Dankbarkeit mit einem Storche und einer Opferschale,
die Barmherzigkeit, die Brot austeilte, und die Einigkeit mit einem Bündel
Pfeile abgebildet zu sehen.
So sehr dieser junge blühende Fürst auch der Minne und dem ritterlichen
Kampfspiele hold war und obige Bürgertugenden in seinem Staate heimisch
machen wollte, so sehr war er den mutwilligen, bösartigen Zweikämpfen
abhold, die sich ungeachtet strenger Ahndung häufig ereigneten. Die
Brüder Pilgram und Luitpold von Töbiliche, die eine schöne
Besitzung auf dem Vorhügel des nach dem Kahlenberge sich hinziehenden
Waldgebirges hatten und wegen des Besitzes einiger Hufen Landes in einem
Zweikampfe fielen, betrübten den Herzog dergestalt, daß auf
seinen Befehl die Blutstätte dicht mit Steinen besäet werden
mußte, damit kein Grashalm daselbst an das Licht der Sonne empordringen
konnte, und da man des Nachts bald streitende Flammen darauf gesehen haben
wollte, so vermied jedermann, sogar bei Tage, den Hohlweg, der von Oberdöbling
nach Wien vorüberführte, zu betreten.
Nur ein Winzer von Unterdöbling, der eines Tages ein Glas Wein über den Durst getrunken hatte, wagte über die Leichtgläubigkeit der Menge zu spotten. Die anwesenden Gäste nannten ihn einen Großsprecher und wetteten, daß auch er es nicht wagen würde, ihnen des Nachts einige Steine von dem Hügel zu bringen. Der Trunkenbold nahm die Wette an und machte sich taumelnd auf den Weg. Der Mond schien so hell, daß er schon von ferne den Steinhügel erblickte. Je näher er aber demselben kam, desto deutlicher glaubte er die Steine in eitel Silber verwandelt zu sehen, und obwohl ihm etwas unheimlich zu werden anfing, war die Begierde nach einigen Silbersteinen doch größer und, mit zugedrückten Augen dem Hügel sich nähernd und mit beiden Händen die Taschen sich füllend, eilte er rascher, als er gekommen war, zur Trinkstube zurück.
Der eilige sichere Schritt, die früher vom Wein erhitzten, nun blassen Wangen überzeugten die Harrenden, daß er die Tat vollbracht habe, und als er ihnen die Verwandlung der Steine in Silber bekannt machte, schlugen sie sämtlich ein Kreuzzeichen, verwünschten aber im stillen ihre Furchtsamkeit. Er wollte sich nach Hause begeben; als sie aber in ihn drangen, die silbernen Steine vorzuzeigen, und er sie nun auf den Tisch legte und nur gemeine Steine zum Vorschein kamen, da brachen auch die Furchtsamsten in eine helle Lache aus. Nur der Winzer versicherte, daß der Böse abermals diese Verwandlung veranlaßt habe.
Den späten Enkeln diente es zur Lehre, daß die Habsucht gewöhnlich
die Klugheit blendet, die Gegenwart mit Furcht und die Zukunft mit falschen
Hoffnungen täuscht. Erst in späteren Zeiten ward es den Verwandten
gestattet, die Steine hinwegzuräumen und den Gefallenen einen Denkstein
mit zwei Kreuzen ohne Namenangabe zu setzen, der noch heutzutage an der
Fahrstraße links nach Oberdöbling zu sehen ist.
Quelle: Die Sagen und Legenden
der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 133, S.
141f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von
Anja Christina Hautzinger, April 2005.