Gnadenbild Maria Pötsch

Seit 1. Dezember 1697 befindet sich auf dem Hochaltar zu St. Stephan das Gnadenbild Maria Pötsch. Dieses äußerst primitive Gemälde hatte ein ungarischer Bauer namens Cigri herstellen lassen. Da es ihm aber zu teuer war, kaufte es ein gewisser Lorenz Hurter und schenkte es der Kirche in Pötsch. Es ist eine schlechte Nachbildung des Typus Maria Schnee, ein Brustbild der hl. Maria, die das Christuskind auf ihrem linken Arme trägt. In Pötsch (Poecz) hing es zwanzig Jahre unbeachtet, bis am 4.November 1696 ein Bauer Michael Görn wahrnahm, daß aus den Augen der hl. Maria Tränen flossen. Dieses wunderbare Weinen dauerte drei Tage und Nächte durch, setzte dann mehrmals aus, wiederholte sich aber. Es entstand nun ein großer Zulauf zu diesem Bildnis, dessen Tränen als heilwirkend aufgefangen wurden. Durch Vermittlung des Generals Grafen von Corbelli, eines Marchese Cusani und des Abtes Emmerich Graf Czaki kam es 1697 nach Wien, wo es zuerst in der Favorita untergebracht war, später bei den Augustinern, von wo es noch im selben Jahr in die Stephanskirche kam, wo es die Kaiserin mit einer diamantenen Rose schmückte und "Rosa mystica" nannte.

Es verbreitete sich bald die Legende, daß die Tränen des Kultgegenstandes einem bevorstehenden Türkenkrieg galten. Während der Wandlung des Meßopfers flossen die Tränen häufiger, die auch in dem strengen Winter 1696, wo selbst der Wein im Kelche fror, nicht zu Eis erstarrten. Auf dem Bild befindet sich ein unauslöschlicher Fleck, der davon herrührt, daß ein protestantischer Unteroffizier, um die Sache zu prüfen, seinen Finger mit diesen Wundertränen benetzte, in der Meinung aber, daß dies von dem Schweiße seines Fingers herrührte, ihn abtrocknete und abermals an die Wangen des weinendes Gemäldes hielt. Da entstand augenblicklich an dem berührten Ort ein schwarzer Fleck, in dem Soldaten aber ein so heiliger Schrecken und ein so heller Glaube, daß er sich zur römisch-katholischen Kirche bekannte. Das Gnadenbild galt auch als Feuerabwehr für Wien. Bei Tage wurde auf dem Stephansturm als Feuerzeichen eine rote Fahne mit dem Bilde der Maria Pötsch an jener Seite aufgehängt, wo man das Feuer ersehen hatte. Maria Pötsch wurde bei jeder Türkengefahr angerufen, den Sieg bei Zenta schrieb man ihr zu. Auch bei Viehseuchen (Himberg) wandte man sich an das Gnadenbild. Bei hitzigen Krankheiten oder Kopfschmerz band man dem Erkrankten ein an das Gnadenbild angerührtes "Bändlein" um die Stirne. Vielleicht ist es identisch mit jener weißen und roten Flockseide, die Brückmann um 1730 bei der Stephanskirche sah und die bei Erysipel (Rötel) um die davon befallenen Glieder gebunden wurde.

Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 73, S. 90f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Anja Christina Hautzinger, April 2005.