Das Kruzifix im Königskloster
In der Barbarakapelle des Königsklosters zu Wien hing ein wunderbares Kreuzbild, womit es folgende Bewandtnis hatte. Dieses Kruzifix blieb einst in Feuersflammen unversehrt, worauf es mehrere Jahre in eines Katholiken Haus mit Ehren aufbehalten ward. Es geschah aber, daß anno 1642 zwei Lutheraner mit dem katholischen Hausherrn in derjenigen Kammer, wo das Kruzifix an der Wand hing, sich mit Spielen unterhielten. Die zwei Ketzer saßen unter dem Kreuz und verloren ein Spiel nach dem anderen. Sie ergrimmten und brachen in die gotteslästerlichen Worte aus, daß, wenn sie das nächste Spiel nicht gewännen, sie Christum vom Kreuz wollten herunterwerfen. Kaum war das neue Spiel angefangen, siehe! da löste sich der Leib Christi vom Kreuz ab und fiel auf die drei Spieler herunter. Beide Ketzer starben eines plötzlichen Todes; der Katholik ward übel verwundet, der, nachdem er die Begebenheit jedermann geoffenbart, auch kurz darauf, doch zum Tode vorbereitet, seinen Geist aufgab. Dessen Verlassenschaft samt dem Kruzifixbilde gelangte durch Erbschaft an Johann Kaspar Zwingt, Hofmeister des Königsklosters, der es größerer Verehrung halber in diese Kirche schenkte. Dieses Kruzifix soll sich zur Königin Elisabeth gewendet haben, als sie davor betete, und in dieser Stellung geblieben sein. Der Stein, auf dem sie kniete, wies später ihre Fußspuren auf.
Es kann wohl nur dasselbe Kruzifix sein, von dem M. Testarello della Massa (Codex 8287 der Wiener Nationalbibliothek) unter dem Königskloster, fol. 889 ff. berichtet:
Bei der Eroberung der Stadt Raab, die man den Türken wieder entriß,
bemerkte eine Kammerfrau der 1592 gestorbenen Kaiserin Elisabeth, wie
sich das Kruzifix zum Oratorium der Kaiserin umwendete, wie man das noch
(um 1685) an dem gegen das Oratorium zugedrehten Kreuzstamm erkennen konnte,
während der Leib des Gekreuzigten sich mit den Augen zum Grabstein
der Kaiserin zukehrte, um anzudeuten, daß sie noch im Himmel für
das Heil des Landes bete.
Quelle: Die Sagen und Legenden
der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 82, S.
99f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von
Anja Christina Hautzinger, Mai 2005.