Der Traum der Kaiserin
"Massen die Regierende Kaiserin, in Spanien sich mit Ihrer Majestät
Carolo 6 befindent, bedaurte andachtlich mit villen zäheren ihre
von so vill Jahren her gehabten Ehestandts Augenscheinliche unfruchtbarkeit,
daher sie von Gott erhöret in dem schlaff ein Niemahl gesehenes Crucifixes
gegenständig worden, von demselbigen getröstet verstanden, daß
sie nicht in Spanien, doch in dem 7ten Jahre ihres Ehestandes Ein Prinzen
zur allgemeiner Freud gebähren werde. Als nun 1715 im Juni beyde
Majesteten nachher Maria Cell andacht halber sich begabten und-under anderen
auch die HI. Reliquien gezeigt, so erblickte die Kaiserin ein Crucifix,
welches Jenen, so sie in Spanien in den schlaff gesehen hatte, gantz ähnlich,
verschröckt sich dergestalten darüber, daß Ihre Majestät
der Kaiser dessen gewahr worden, Sie befraget, und nachdem er alles vernummen,
befahl er alle und Jede Personen abzutretten. Mithin beyde Majestetten
allein ihre Andacht vor diesem Crucifix (welches Mirakulos schon vor disem
den Kaiseren bekant war), eine geraume weil verrichtet, von diser Zeit
beobachtet worden, daß die Kaiserin eines gesegneten leibs seye,
und verschinnen tag glückselig gebohren, welchen man der Kaiserin
auf das beth hat geben müssen, weilen sie Zweyfflete, ob es nicht
ein Prinzesse seyn möchte."
Quelle: Die Sagen und Legenden
der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 86, S.
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Für SAGEN.at korrekturgelesen von
Anja Christina Hautzinger, Mai 2005.