Spuk im Zeughaus
Eben war die Nachricht von dem Siege bei Mohacs über die Türken in Wien eingetroffen, da erging der Befehl an die Bediensteten des bürgerlichen Zeughauses, die nötigen Rüstungen aus demselben ausfolgen zu lassen. Als nun ein alter Aufseher, der nach Hause mußte, an seiner Statt seinen Sohn zurückließ, empfahl er ihm, auf alles sorgsam zu achten. Als der Jüngling sich gerade niedergelassen hatte, um sein Mittagsbrot zu verzehren, kam es ihm plötzlich vor, als höre er ein großes Geräusch auf der Treppe, und es klang, wie wenn bewaffnete Soldaten auf die Wache zögen. Da er wußte, daß außer ihm kein lebendes Wesen im Zeughause weilte, so erschrak er gewaltig, und seine Angst vermehrte sich, als bald darauf ein Trupp geharnischter Männer mit geschlossenen Visieren auf ihn zuschritten. Nachdem diese aber an seinem Tischchen vorübergezogen waren, zerflossen sie in leichten Dunst und er fing an, sich etwas zu erholen. Abermals vernahm er fernes Geräusch von einer gegen den steinernen Fußboden schlagenden metallenen Säbelscheide. Langsam schritt ein prachtvoll gekleideter und gerüsteter Türke mit schwarzem Bart, leichenblaß, die Treppe herab, an ihm vorüber, ohne ihn anzusehen, und verschwand gleich den vorigen.
Der Jüngling, dem alle Lust zum Essen vergangen war, eilte schwankenden
Schrittes aus dem Zeughause und setzte sich auf einen Stein vor dem Tor.
Als aber die Handlanger wieder zur Arbeit kamen, erschraken sie über
sein totenblasses Antlitz; doch der Vater lächelte, wie er von jener
Erscheinung hörte und sprach: "Du bist mir ein schöner
Held, aber sei du nur Jahre lang Aufseher im Zeughaus hier, so wirst du
ganz anders sprechen. Wenn ich mich hätte vor derlei geharnischten
Männern ängstigen wollen, die oft in ganzen Regimentern an mir
vorüberzogen, so wäre ich wohl längst vor Entsetzen gestorben.
Du mußt wissen, daß, als die Türken im Jahre 1683 ihr
reiches Lager im Stich ließen, der in schmählicher Flucht entronnene
Großvesier die seidene Schnur erhielt und sein Kopf öffentlich
aufgesteckt wurde, der nach der Erstürmung Belgrads in das Wiener
Zeughaus kam. Aber seit dieser Zeit war es auch in diesem Gebäude
sehr unruhig, so oft ein Türkenkrieg entbrannte, und da ein Muselmann
vor dem Jüngsten Gericht nicht zur Ruhe eingehen kann, wird es wohl
so bleiben, bis alle Türken ein Ende haben."
Quelle: Die Sagen und Legenden
der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 54, S.
74f
Für SAGEN.at korrekturgelesen von
Anja Christina Hautzinger, April 2005.