Das Standbild des Paschas
Deli Seyyidî Pascha war Statthalter von Ofen; er war ein überaus
tapferer und erlauchter Glaubenskämpfer. Als zu dessen Zeit ein Kaufmann
von Ofen nach Wien reiste, raubte man ihm auf österreichischem Boden
seine Waren. Der Kaufmann kehrte zurück, richtete eine Bittschrift
an den verewigten Seyyidî Pascha und legte ihm die Sache dar. Dieser
wieder sandte dem König von Wien ein Buyuruldu (Befehlsschreiben),
in dem er schrieb: Dem Kaufmann, der von hier ausgezogen ist, hat man
auf deinem Boden seine
Waren geraubt. Bei Eintreffen meines Befehls sollst du die Waren des Kaufmanns
ausfindig machen und sie anher senden; und wenn sie sich nicht finden
lassen, sollst du deren Wert von deiner Seite einsammeln und hierher einsenden.
Wenn du "nein, nein" sagst, wirst du um Krone und Thron kommen!
So sagte er. Als der Befehl an den König gelangte, antwortete der
König: "Na, das wollen wir sehen!" Sobald diese Kunde dem
Seyyidî Pascha zukam, verkleidete er vierzig Männer und entsandte
sie nach Wien. Diese vierzig Männer begaben sich nach Wien, holten
aus einer Kirche in der Festung einen Geistlichen heraus und brachten
ihn nach Ofen zu Seyyidî Pascha. Weder der König noch jemand
anderer hatte Kunde von der Entführung dieses Geistlichen. Kommen
wir zu Seyyidî Pascha! Der wollte jenem Geistlichen den Kopf abschlagen.
Man bat, und er schlug ihm den Kopf nicht ab. Er begnadigte ihn. Wiederum
sandte man dem König Nachricht: Aus der und der Kirche im Innern
der Festung hat er den und den Geistlichen entführen und fortführen
lassen. Der Pascha wollte ihm den Kopf abschlagen, da baten wir für
ihn und brachten ihn dazu, den Mann zu begnadigen. Wisse, um Krone und
Thron wirst du kommen. Bemühe dich sofort, das Geraubte anher zu
schicken! So hieß es in dem Brief.
Als der König diese Sache erfuhr, da wurde ihm der Hut zu eng, und er ließ in der Kirche nach jenem Geistlichen forschen. Der war nicht dort. Er fragte: "Wie konnte das geschehen, daß dieser Geistliche in Verlust geraten ist?" Man antwortete: "Vierzig Männer sind gekommen, und der Geistliche war verschwunden!" Plötzlich ging dem König ein Licht auf: Er war es, der aus Wien und der Kirche den Mönch entführte. Mir ist klar, daß ich noch um Wien komme.
Sofort schickte er das, was dem Kaufmann geraubt worden war, von sich aus ab. Und sogleich errichtete er in Wien in der Leopoldstädter Vorstadt das Standbild dieses Glaubenshelden Seyyidî Pascha. Er steht da, auf dem Kopf einen gitterartigen Turban und darauf eine goldene Aigrette. Jenen Geistlichen läßt er vor sich knien, in der rechten Hand hält er ein Schwert, um ihm den Kopf abzuschlagen. So steht er da.
Quelle: Teply, Karl, Türkische Sagen und Legenden
um Wien, die Stadt des Goldenen Apfels der Deutschen, in: Österreichische
Zeitschrift für Volkskunde 31 (1977), 225 - 284;