CAPISTRANUS' KANZEL

Am Münster zu Sankt Stephan wird noch die Steinkanzel gezeigt, auf welcher im Jahre 1454 der heilige Johannes Capistranus, vom Orden des heiligen Franziskus, gepredigt gegen die Sündhaftigkeit der Welt und ihre Freuden, der gewaltiglich eiferte gegen Putz und Spiel, gegen Schimpf und Scherz. So wundersam wirkte, wie die Sage geht, sein Wort, daß, obgleich er lateinisch predigte, doch von allem Volke, Männern, Frauen, Mägdlein und Knaben, seine Rede ebenso verstanden wurde, als ob er in deutscher Sprache geredet. Da strömte alles hinzu, und die Männer brachten herbei vor die Kanzel ihre Schachzabel, Brettund Pochspiele, ihre Karten und Bälle, die Frauen Perlen und Ringe, Schmuck und Geschmeide, Hauben und Zierkleider, Gold und Agtstein, Silber und Edelgesteine, und die holdseligen Jungfrauen schnitten ihre langen Zöpfe ab, die der eifernde Capistranus auch als sündlich verdammte. Und wenn ein großer Haufe von Schmuck und Zierat, Spiele und Tand beisammen war, da ließ der Heilige es mit Feuer anstoßen und brannte den ganzen Haufen zu Asche.

Viele der Zuhörer taten sich ihrer Sünden ab, taten zerknirscht Buße, legten das härene Gewand des Pater Seraphicus, Franz von Assissi, an oder griffen zum Schwerte gegen den Erbfeind der Christenheit und folgten dem heiligen Manne, der voranzog, die Scharen gegen Mohammed zu Kampf und Sieg zu führen.

Quelle: Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Österreich, Ludwig Bechstein, 1840