DES MÜNSTERS ERBAUUNG

Fast inmitten der Stadt Wien ragt Sankt Stephans hochaltertümlicher Bau mit seinem wunderbaren Riesenturme empor, geziert mit mannigfaltigem Bildwerk alter Kunst, mit Wahrzeichen mancher Art geschmückt und von Sagen mannigfach umklungen.

Domkirche St. Stephan Wien, © Wolfgang Morscher

Domkirche St. Stephan, Wien
Westfassade mit Heidentürmen
© Wolfgang Morscher, 28.07.2001


An derselben Stelle, wo jetzt der Dom zu Sankt Stephan steht, erbaute des heiligen Leopold Sohn, Heinrich II, Jasomirgott genannt, um die Mitte des zwölften Jahrhunderts zuerst eine Kirche und weihte sie dem Märtyrer Sankt Stephanus. Dieses Gotteshaus brannte ab, wurde wieder aufgebaut und sank im Jahr 1275 zum zweiten Male in Asche. Der Böhmenkönig Ottokar ließ die Kirche von neuem aufbauen, und in ihr dankte schon 1278 König Rudolph dem Himmel für den ihm über Ottokar verliehenen Sieg. Das folgende Jahrhundert sah des Tempels Vergrößerung, doch nur langsam wuchs der gigantische Bau. Herzog Albert II. schrieb 1339 von jedem Untertan einen Groschen Steuer aus zum Münsterbau, davon selbst die Kinder in der Wiege nicht ausgenommen waren.

Hl. Stephanus, GedenkmünzeHl. Stephanus, Gedenkmünze

Souvenirmünze Hl. Stephanus
Sammlung Morscher privat

Nicht nur das hohe Hauptportal dieser ehrwürdigen Kathedrale, sondern auch die übrigen Türen und Pfeiler der Außenseite sind mit Bildsäulen und andern Erinnerungszeichen vielfach ausgeschmückt, und es reden diese Steine von der alten Zeit, von der Väter Sitte und Sinnesart. Bilder des Erlösers, seiner gebenedeiten Mutter und vieler Apostel, Heiligen und Märtyrer sind, nebst Szenen aus der heiligen Geschichte, an unzähligen Stellen angebracht und dienen den Andächtigen zu ernster und frommer Betrachtung.

Des Münsters Erbauung, © Wolfgang Morscher

Des Münsters Erbauung, St. Stephan
© Wolfgang Morscher, 27.07.2001


Daneben ist manches symbolische Zeichen befindlich, das verschiedentliche Deutung zuläßt; ein Löwenbändiger, ein geflügelt Ungeheuer mit Jungen und vieles andere.

Die Kirche ist ganz aus Quadersteinen aufgeführt, ihre Wandpfeiler sind sieben Schuh dicke, ihre Länge beträgt 55 Lachter 3 Schuh, die Breite 37 Klafter.

Außerhalb dem eisernen Gitter zeigen sich zwei große eiserne Haken. Das Volk erzählt, der Umfang ihrer Krümmung zeige die Größe des Brotes an, die zur Zeit der Erbauung üblich gewesen.


Quelle: Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Österreich, Ludwig Bechstein, 1840