Die Hirschgeweihe auf dem Stephansdom
Um 1551 wurden auf die oberen acht Spitzen des Stephansturmes Hirschgeweihe als vermeintliche Abwehrungsmittel gegen das Einschlagen des Blitzes gesetzt; es herrschte damals allgemein der Glaube, daß noch nie ein Hirsch vom Blitze getroffen worden sei; man hielt seine Geweihe daher für ein Verwahrungsmittel wider den Blitzstrahl. Dieses beweiset eine von Geusau mitgeteilte Urkunde vom 2. Oktober 1551 folgenden Inhalts:
"Bürgermeisters und Rats Befehl an Herrn Christoph Enzianer, des innern Rates und Oberstadtkämmerer. Dem Herrn Obersten Jägermeister der niederösterreichischen Lande, Herrn Erasmen von Lichtenstein zu Karnaydt ein Dreyling guten Most in drein Vaslein im Namen gemeiner Stadt zu verehren. Nachdem dieser acht Hirschen-Gestiemk gutwillig dargegeben, welche auf den St.-Stephans-Turm oben auf die acht Schaft oder Eck aufgemacht worden, die für die Einschlagung des wilden Feuers und Donners dienstlich sein sollen."
Wahrscheinlich geschah dieses, weil im Jahre 1449 der Blitz den St.-Stephans-Turm angezündet und ganz verbrannt hatte. Dieser Glaube ist der wahre Grund, warum vormals Hirschgeweihe auf die Dachspitzen der Häuser und Türme, unter andern auch auf den Widmerturm der k. k. Burg von Leopold I. angebracht wurden, und die Annahme ist irrig, diese Gewohnheit deute dahin, daß einst die Stadtgegend aus Wäldern und Auen bestanden habe.
Quelle: Realis (=Gerhard Cockelberghe-Duetzele), Geschichten, Sagen und Merkwürdigkeiten aus Wiens Vorzeit, Wien 1846, S. 42