Das rote Mandl auf der Freiung in Wien
Am Bühel, gegen den Tiefen Graben hin, stand um die Mitte des 16.
Jahrhunderts ein kleines Häuschen, in dem sich eine Kellerschenke
befand. Hier versammelten sich nun vorzüglich fahrende Schüler
und allerlei Künstler, um sich bei einem Glas frischen Weines gütlich
zu tun. Einst war die Schenke nun wieder voller Gäste, wie sie der
Wirt aus den verschiedensten Gegenden nicht besser hätte zusammentragen
können. Da saß neben dem fahrenden Schüler der leichtlebige
Komödiant, neben diesem ein humorvoller Künstler, und so reihten
sich Maler und Kupferstecher gemütlich aneinander, um bei fröhlichen
Gesprächen wacker dem süßen Wein zuzusprechen. Da war
in den Kreis ein gar sonderbar aussehender Mann getreten. Es war niemand
geringerer als der damals hochberühmte Doktor Faust. Kaum hatten
ihn die Anwesenden erkannt, als sie in den lautesten Jubel ausbrachen;
denn dieser Doktor der Magie, wie er sich nannte, war ebenso durch seine
wundersamen Kunststückchen, wie durch seine tollen Streiche viel
gekannt und weit berühmt. Alle waren dessen sicher, daß es
bei ihm nicht mit rechten Dingen zuging, so verwegen, so unerklärbar
waren seine Zauberstückchen, doch gerade das reizte die leichtsinnigen
Zechgenossen, und sie baten ihn, er möge ihnen doch etwas vorzaubern.
Der Hausknecht brachte ihm nun ein tüchtiges Glas Wein, weil dieses
aber gar zu voll war, verschüttete er etwas von demselben. Da sagte
Faust: "Wenn du mir noch einmal so viel des Weines verschüttest,
freß ich dich mit Haut und Haar." Dieser nichts weniger als
freundliche Zuruf ärgerte aber den Hausknecht, und als er dem Doktor
Faust wieder das Glas füllte, schenkte er absichtlich dasselbe voll,
so daß der Tisch überschwemmt wurde. Da sperrte aber Faust
den Mund auf, und verschwunden war der Hausknecht; er ergriff dann einen
Wasserkübel und leerte ihn mit einem gewaltigen Zug. Entsetzen ergriff
die Anwesenden, und flehentlich bat der Wirt, der so viel vermögende
Doktor möge ihm doch seinen Aufwärter wiedergeben, ohne den
er gar nicht sein könne. Ruhig sagte Faust: "Mache die Türe
auf und schaue auf die Stiege!" Und richtig, ganz oben auf derselben
saß der arme Bursche, triefend voll Wasser und zähneklappernd
vor Kälte. Als er wieder in die Stube trat, sagte er mit schlecht
verhehltem Zorne zu dem Doktor: "Gewiß will ich mit Euch nichts
zu tun haben, denn Ihr seid mit dem Teufel im Bunde." "Teufel
hin, Teufel her", antwortete Faust, "hüte dich nur, mir
wieder so einzuschenken." Bald erholten sich die Zecher von ihrem
Schreck, und nun drehte sich das ganze Gespräch nur um den Gottseibeiuns.
Da stand einer der Anwesenden auf, es soll der Maler und Kupferstecher
Hirschvogel aus Nürnberg gewesen sein, und erbot sich, den Teufel
an die Wand zu malen. Jubelnd stimmten die übrigen zu, und Hirschvogel
nahm ein Stück Kohle vom Herde und zeichnete auf die Wand die Figur
eines Junkers in sitzender Stellung mit gekreuzten Beinen, in Kleidern
von edelmännischem Schnitte, umflattert von einem Mäntelchen,
zackig wie ein Drachenflügel; auf dem Kopfe saß ein mit einer
Hahnenfeder geziertes Hütchen, unter welchem ein höhnisch grinsendes
Gesicht hervorsah. Kaum war die Figur fertig, so stand Faust auf und sagte:
"So jetzt seht ihr den Teufel auf der Wand, ich will euch denselben
aber lebend zeigen." Das Zimmer verdunkelte sich plötzlich,
und die Zeichnung fing an sich zu bewegen. Die Kleider wurden feuerrot,
die Puffen am Wamse färbten sich kohlschwarz, die Feder auf dem Hute
wurde ebenfalls rot, das Mäntelchen wurde grün, die Augen des
schrecklich blassen Angesichtes leuchteten wie feurige Lohe, und mit einem
donnerähnlichen Getöse sprang die entsetzliche Figur unter die
Gäste. Doch diesen wurde der Scherz zu furchtbar, und mit entsetzlichem
Wehgeheule stürzten sie aus dem Keller. "Man soll den Teufel
nicht an die Wand malen!" rief ihnen Doktor Faust mit donnernder
Stimme nach, um dann auch seiner Wege zu gehen. Die Schenke erhielt aber
von diesem wundersamen Vorfalle den Namen "Zum roten Mandl",
den es bis auf die neueste Zeit behielt.
Quelle: Calliano, Carl, Niederösterreichischer
Sagenschatz, Wien 1926 - 1936, Bd. 5, 1936, S. 33 f.