BERUFUNG DES SMO

Ein Minarkener erzählte: Da war mein Freund Simon, auch ein verbrannter Kerl. Möglich, daß sein Großvater, wie der meinige, zu Zeiten "des Teufels" war; na, das ist vorüber und soll unter uns bleiben. Also den Simon meine ich; er diente wie ich im Dorfe; und nachts, wenn wir die Herde unserer Herrn hüteten, kamen wir dann, wie ja die Jungen sind, viele zusammen, lagerten uns um unser Feuer und trieben allerlei Kurzweil, damit die Zeit vergehe. Da fragt plötzlich Simon — wie er darauf kam, weiß ich heute nicht: "Glaubt ihr, Brüder, daß ich den Smo zu uns rufe, wenn ich ihn einmal vorüberfliegen sehe?" — Er wurde natürlich ausgelacht. "Ich wette mit euch, daß ichs tue!", rief jener lachend, "was sagt ihr dazu?" — "Gut", rief einer von uns, "von mir sollst du zwei Flaschen Branntwein bekommen, wenn du es tust!" — "Drei von mir", rief ein anderer, "vier, fünf", schrieen sie durcheinander und überboten einer den ändern. — "Abgemacht!" ruft Simon, "ich bin -zufrieden!" Er sieht einmal nach seinen Herden und legt sich dann wieder zu den übrigen. Nicht lange, so blitzte es auf im Westen, und nun kann man sich denken, welch ein Schreck jedem durch die Glieder fuhr, als man immer näher und näher den gefürchteten Geist kommen sah. Er flog diesmal nicht zu uns, hur hoch aus der Luft sprühten feurige Funken herab. Simon war aufgesprungen. Er hatte, wie es auf dem Lande bei den Hirten üblich ist, neben dem Messer eine kleine eiserne Gabel im Gürtel stecken; diese zog er rasch entschlossen, schwang sie dreimal über dem Kopf im Kreise und schleuderte sie vor sich hin, daß sie vor ihm in der Erde stecken blieb. Da rief er mit lauter Stimme: "Wenn ich dich rufe, so folge mir und komme zur Stellet" Wortlos lauschten wir den lauten Rufen des Genossen, die weithin (über die stillen Berge schallten. In der Ferne aber wendete sich der feurige Drache auf einmal und kam schnaubend auf uns zugeflogen. "Du stehst", rief Simon befehlend, und der Geist gehorchte der menschlichen Stimme und blieb vor ihm stehen. "Wo willst du hin?", fragte Simon den Geist. "Im Dorfe unten habe ich ein Liebchen", antwortete er dumpf, und dabei sprühte ihm Feuer aus Mund und Augen. "Das ist meines, nicht deinest", rief jener, "und du bleibst hier, solange ich will." Das hat so leicht ein anderer dem Simon nicht nachgemacht. Lange Zeit noch hielt er den Smo dort, bis er endlich gegen Morgen wieder seine Gabel zieht, sie durch die Luft auf die Erde wirft und ruft: "Gehe, von wo du gekommen bist; doch ins Dorf gehst du mir nicht wieder." Und der Drache erhob sich und zog langsam fort, gen Westen, von wo wir ihn auch kommen sahen, wahrscheinlich zur Hölle; man sagt ja, daß er dort wohne. Es war aber auch die höchste Zeit, denn unten im Dorf krähten schon die Hähne und über den Gebirgen fing es an, sich blaßrot zu färben. Der Morgen kam, und dann haben die Geister der Nacht kein Recht mehr, unter Menschen zu wandeln. Dann wurde es Tag; und wie die Nacht frei ist den Geistern, so gehört der Tag dem Menschen und der Arbeit.


Quelle: Siebenbürgische Sagen, Herausgegeben von Friedrich Müller 1857, 1885; Neue erweiterte Ausgabe von Misch Orend, Göttingen, 1972, Nr. XCII, S. 86