§. 14. Kunst der Darstellung im Deutschen Epos.
Das Deutsche Epos hat vor dem eigentlich Scandinavischen Sagenkreise, in welchem die Zauberei noch mächtig ist, und vor dem Romanischen, in welchen die Beziehung auf den Glauben kirchliche Elemente und eine abstracte Stimmung hereinbringt, den Vorzug eines ächt [echt] epischen Characters, indem in seiner Welt die Entzweiung ganzer Stamme und Völker rein erscheint. Noch ist keine geschichtliche Deutlichkeit vorhanden; noch nimmt sich das Geschick einfach in der Rache zusammen, welche der liebende und gekrankte Familiengeist verübt und aus welchem der stete Uebergang von Liebe in Leid, von Leid in Liebe zu begreifen ist. Aber neben diesem Princip unmittelbar geistiger Bestimmung treten auch andere sittliche Verhältnisse mit der Ordnung des Vasallenthums [Vasallentums] hervor, welche oft bis zum höchsten tragischen Pathos führen, wie darin z. B. die Verkennung Sigfrids durch Brunhild, der Kampf der Amelungen mit den Burgunden im letzten Sturm u. a. begründet sind. Zuweilen sind auch heitere Scenen auf diesem Boden, wie z. B. Ilfan deshalb aus seinem Kloster noch mit auf die Fahrt ziehen muß, weil er Dietrichs Mann ist und von ihm nur unter solcher Bedingung entlassen worden. Von einem besonderen Schicksal oder von Leitung der göttlichen Vorsehung außer den Handelnden, ist keine Spur, sondern Alles entwickelt sich nach innerer Nothwendigkeit aus dem sittlichen Inhalt der Verhältnisse selbst, weshalb weder von einer sogenannten Maschinerie des Wunderbaren, noch von einer unbegreiflichen Härte die Rede sein kann. Es sollte so sein, sagt die alte Dichtung und enthält sich aller Reflexion.
Das Deutsche Epos war zunächst als Sage vorhanden, mochte dieselbe eine prosaische oder poetische Form haben, von welcher ältesten Gestalt wir nur noch ein kleines durchaus alliterirendes Fragment übrig haben. - Dann folgt die Gestalt, welche es im dreizehnten Jahrhundert durch die Schwabischen Dichter empfing und sich durch Wohllaut der Sprache, Angemessenheit des Ausdrucks, Reinheit des Versbaues und tiefe Auffassung des Inhaltes auszeichnet, wie der große Rosengarten, Alphart, Otnit, Chaudrun u. a. Aus dem vierzehnten Jahrhundert ist Biterolf und Dietleib, im kurzen iambischen Metrum nachlässig gedichtet u. a. Dieser Abfassung der Sage folgt die Kaspar's von der Rön, eines gemeinen Bänkelsängers aus Münerstatt in Franken im letzten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts, welcher in seiner Umarbeitung der alten Lieder vorzüglich auf den geschichtlichen Leib, nicht auf die Schönheit der Form sah und deshalb vieles ausgelassen, zusammengezogen und in's Schlechte verändert hat. - Auf diese Recension folgen dann mehrfach wiederholte Abdrücke des Heldenbuchs in der älteren Form, mit einer prosaischen Uebersicht des ganzen Inhaltes versehen. Um diese Zeit wurden die Nibelungen in der Geschichte des gehörnten Sigfrid zum prosaischen Volksbuch, wo sich schon plumpe Spaße, wie der Kampf von Zivilles und Jolkus, einmischen; Hans Sachs und Jacob Ayrer erinnerten dramatisch daran, worauf mit dem dreißigjährigen Kriege das Angedenken der Helden fast erlosch und nun erst wieder für freie Kunst und Wissenschaft erweckt ist. Seine plastische Wiedergeburt in den Zeichnungen von Cornelius ist vollendet, aber von den poetischen Erneuungen möchte kaum die Simrocksche gelungen zu nennen sein.
Denn die Darstellung des alten Epos ist so scharf und in ihrem
einfachen Ausdruck, der nicht selten ungelenk und kalt, scheint,
doch so von Gemüth durchdrungen, daß es schwer halt,
in diese unserem Leben so entfremdete Welt sich zurückzubringen.
Einzelnes darf man nicht pflücken wollen, auch die Phantasie
ist hier nur im Ganzen als in Gang und Vorstellung mit ihrer schlichten
Bildlichkeit verwachsen und kann man ihr deswegen, eine gewisse
Farblosigkeit nicht absprechen. Sie machen mit dieser Einfachheit
der Form, aber Tüchtigkeit des Inhaltes, den größten
Gegensatz zu den epischen Gedichten des Morgenlandes.
Man kann von der Darstellung in unsern heimischen Epen sagen, was
Aristoteles vom Homer (Ars poet 25.)
Quelle: Das
Heldenbuch und die Nibelungen, Karl Rosenkranz, Halle 1829,
S. 21ff
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