§. 2. Mythus.
Was ein Volk seinem Geiste nach an sich ist, das macht es sich
für sich gegenständlich. Also, wie es das Göttliche
zu seinem Innersten hat, so ist ihm dasselbe eigenthümlich,
oder wie es das Göttliche und Ewige vorstellt, so ist sein
Gott, nicht anders. Diese Vorstellung, die es vom Göttlichen
hat und welche im Grunde sein eigener Geist ist, greift deshalb
auch über Alles im Volk über, oder macht das allgemeine
bewegende Centrum [Zentrum], sein absolutes Interesse aus. Die vielfachen
Formen, in welchen diese Vorstellung vom Göttlichen zur Erscheinung
kommt, können unorganische und organische Gebilde, menschliche
Gestalten u. s. f. sein. Aber indem die Vorstellung selbst als die
Macht der Idee dies Vielfache zu einander in Verhältniß
bringt, einsteht ein innerer Zusammenhang, der als ein Geschehen
sich dargestellt, und dies ist der Mythus, Sein Inhalt betrifft
darum ewige Wahrheit, wenn sie auch nicht die Form denkender Erkenntniß
hat, wie z. B der Griechische Mythus vom Kampf der Titanen mit den
olympischen Göttern, der Scandinavische [Skandinavier] von
der Schöpfung der Welt aus dem Leibe des Riesen Ymer, der Mosaische
vom Verlust des Paradieses u. s. f.
Quelle: Das
Heldenbuch und die Nibelungen, Karl Rosenkranz, Halle 1829,
S. 3f
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