§. 25. Geographischer Schauplatz.
Für das Verständniß des Gedichtes wäre eine Charte sehr zu wünschen, wie man dergleichen für den Homer hat. Denn ist es auch ein vergebliches Bestreben, für die romantischen Gedichte mit ihrer Litaney unwirklicher Reiche, Namen u. dgl. ein bestimmtes Bild der Localiiät entwerfen zu wollen, so ist dies doch für die Gedichte unseres heimischen Sagenkreises bei weitem eher möglich, weil hier wirkliche Gegenden und Personen, wie namentlich auch in Biterolf und Dietlieb, im Hintergrunde stehen. Das ganze Gebiet des Schauplatzes wird durch die Nordsee, den Rhein, die Rhone, den Po und die Donau abgegrenzt. Die Wasserstraße der Donau erscheint am hellsten.
Am nördlichsten jenseits des Meeres erscheint Isenland, Island
und neben ihm Norwegen, wo die Nibelungen sind.- Hierunter folgen
die Niederlande mit der Hauptstadt Santen, jetzt Xanten am Rhein.
- Dann noch südlicher zwischen den Vogesen (Wasgau, Wasichenwald),
dem Main, Schwarz- und Odenwalde, liegt das Burgundische Reich.
Die Burgunden haben Worms am Rhein, die weite, zu ihrer Hauptstadt.
Speier wird auch erwähnt. Alzei, woher der Dienstmann Volker,
was noch jetzt eine Fiedel im Wappen führt, liegt nordwestlich
von Worms. Bei Metz am Ausfluß der Seille in die Mosel liegt
eines andern Dienstmannen Ortwin's Burg. Ebenfalls an der Mosel
liegt Tronege, woher die Tronegere, Hagen und Dankwart. - Nordöstlich
vom Main kommt man zu den Hessen und Sachsen. Ueber diese herrscht
Liudger und sein Bruder Liudegast über die Dänen. Hawart
erscheint bei Ezel als ein vom Kaiser geachteter Fürst von
Dänemark, - Zwischen dem Main und der Tünowe oder Donau
liegt Ostervranchen, der östliche Theil des alten Frankenreichs
Austrasien, welches sich die edelsten Franken zu haben rühmte,
bis Salwelde oder Schwanfeld. Zwischen der rauhen Alp, dem Bodensee
und dem Lech ist Schwaben. An der Donau ist Bergen, wo Chriemhild
überfährt, wahrscheinlich jetzt Möringen. Baiern
zwischen Lech und Inn wird als ein ungastliches und räuberisches
Land geschildert. Am Ausfluß der Isar in die Donau wird der
Ort Pledelingen, an dem der Inn Pazzowe (Passau) genannt, wo Ute's
Bruder, der Bischof Pilgerin, seinen Sitz, auch ein Kloster hat,
und dessen Bürger und Kaufleute aus der Stadt herauskommen,
Chriemhilde zu empfangen. Dann folgt Everdingen. jetzt Efferding,
an der Donau und, der Mündung der Ens unsern, Ense. Auf dem
rechten Donauufer ist die Markgrafschaft Bechelaren, wo Medeliche
(Mölk), Mutaren (Mautern) und am Einfluß der Treisem
Helke's Sitz, Zeizenmure, erscheinen. Nach Tulne folgt Wien selbst,
wo Ezel sein Beilager mit Chriemhild feiert und dann links vor dem
Einfluß der March die alte Heimburch, jetzt Haimburg. Bis
hieher geht Osteriche, die deutsche Mark gegen Avaren und Hunnen.
Der Einschiffort - auch für Kreuzfahrer und über Konstantinopel
Reisende - ist die reiche Misenburch, jetzt Wiselburg, an einem
Donauarm. Hinter der Raab kommt dann das eigentliche Etzelnreich
mit Gran und Etzelburg (sonst auch Susat) an der Donau, wo der große
und nach der Sage milde König über die Heunen oder Hunnen
herrscht. Daß ihm die Petschenegen, Chazaren, Russen, die
von Kiew, Wallachen und andere Slavische Völker, so wie die
meisten Deutschen, unterworfen sind, ist ein Nachklingen der Geschichte
in der Sage, da er auf seinen großen Zügen alle diese
Völker wirklich berührte. Daß die Amelungen an seinem
Hof sind, darf, auch abgesehen von den Sagen, um so weniger auffallen,
da er Ostgothische Fürsten, wie Walamir, Widemir und Theodemir
(Dietmar, Theodorichs Vater) in der That unter seine Vasallen zählte.
Und was Irnfried von Thüringen angeht, so ist merkwürdig
genug in den, Thüring'schen Chroniken eine fabelhafte Erzählung,
wie Etzel nach seiner Zurückkunft aus Gallien mit Chriemhild
in Thüringen einen Reichstag gehalten habe.
Quelle: Das
Heldenbuch und die Nibelungen, Karl Rosenkranz, Halle 1829,
S. 52ff
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