DIE WEISSAGUNG DER SIBYLLE

Der zweite Kaiser zu Rom, Octavianus (eigentlich Gajus Julius Cäsar Octavianus, aber heute gewöhnlich genannt), war Julius Cäsars Schwestersohn. Er wurde Kaiser und regierte 42 Jahre vor und 14 Jahre nach Christi Geburt. In dem ersten Jahre tötete er alle, die an Julius' Tode schuldig waren; alle Länder und Reiche machte er sich Untertan, und es war Friede allenthalben auf dem Erdreich von Sonnenaufgang bis zu Sonnenniedergang. Wegen der großen Weisheit und Macht des Octavianus beteten ihn viele Leute an, als ob er ein Gott wäre. Die weise Frau Sibylla zeigte aber dem Kaiser am Himmel bei der Sonne eine Jungfrau, die saß in einem goldenen Kreis, gekrönt mit einer goldenen Krone, und hatte ein Kind in ihrem Arm. Die Frau sagte dem Kaiser, daß das eine Jungfrau wäre und das Kind wäre Gott und Herr über alle Herren im Himmel und auf Erden. Als der Kaiser das vernahm, kniete er nieder und betete das Kind an und opferte ihm und baute einen Altar auf dem Berg und wollte sich nicht mehr anbeten lassen. Da steht nun eine Kirche die heißt , und das Wunder geschah in der Nacht, da Christus geboren ward.


Quelle: P. Heitz u. W.L. Schreiber, Oracula Sibyllina. Weissagungen der zwölf Sibyllen, Straßburg 1903, S. 2 (nach Mirabilia Romae).
aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 2, S. 6