DER URSPRUNG DES GOLDENEN DOMTURMS ZU HILDESHEIM
Herzog Magnus von Braunschweig fiel im Jahre 1367 mit einem großen Heere und mächtigen Bundesgenossen in das Stift Hildesheim und verheerte das ganze Land aufs furchtbarste. Da sammelte der Bischof Gerhard seine streitbaren Männer um sich und zog, auf sein Recht und die Heilige Jungfrau vertrauend, mutig dem bei weitem überlegenen feindlichen Heere entgegen. «O Heilige Jungfrau», rief der Bischof, als er an der Spitze seiner Mannen einherzog, «heute kommt es auf dich an, ob du unter einem Strohdache oder unter einem goldenen Dache wohnen willst; siegen die Feinde, so werden sie den Wohlstand der Stadt und der Kirche vernichten und wir werden nicht mehr die Mittel haben, deinen Tempel würdig zu schmücken, gibst du uns aber den Sieg, so fällt großes Gut in unsere Hände, und dann sollst du unter einem goldenen Dache wohnen!»
Als nun die Truppen des Bischofs in der Gegend von Dinklar den übermächtigen Feind in seiner Siegesgewißheit jubelnd heranrücken sahen, da wurden viele verzagt, aber Gerhard richtete ihren Mut wieder auf und rief, indem er seinen linken Ärmel schüttelte: «Lieben Leute, trauert nicht, hier habe ich noch tausend Mann in meinem Ärmel!» Der Bischof hatte nämlich das größte Heiligtum der Stadt, das von Ludwig dem Dome vermachte Reliquiengefäß, in seinem Ärmel. Nach diesen Worten ihres Führers waren die Krieger gewiß, daß die Hilfe der Heiligen Jungfrau mit ihnen war, gewaltig andrängend setzte das kleine Häuflein in den mächtigen Feind, und nach kurzem Kampfe bedeckten 1500 Feinde, unter ihnen viele Ritter und Edle, die Wahlstatt. Was von den Feinden noch auf den Beinen war, suchte sein Heil in der Flucht, und das ganze Lager fiel mit seinen Schätzen in die Hände der Hildesheimer. Von diesem Gute nun ließ der Bischof, seinem Gelübde getreu, das goldene Dach machen, welches noch heute den östlichen Domturm schmückt.
Quelle: J. G. Th. Grässe, Sagenbuch des Preußischen
Staats, Bd. II, Glogau 1871, S. 889, Nr. 1087 (nach Elbers, Historische
Chronik von Hildesheim).
aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 64, S.
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