DER KAUF VON FLANDERN

Als Kaiser Heinrich IV. zu Aachen gekrönt wurde, kamen die Lehensträger des Reiches dahin, ihm ihre Huldigung zu bringen. Unter ihnen waren auch die Grafen von Flandern und Holland. Da gab es viele Feste und Spiele und Turniere; in einem dieser letzteren warf der Graf von Flandern den von Holland aus dem Sattel. Das ärgerte Floris, und er war darob gar schlecht auf Baldu-in zu sprechen. Am ändern Tage traf er ihn im Palaste und forderte ihn zu einem Spiele Schach auf. «Meine Einlage ist die Grafschaft Holland», sprach er. «Ich wage es», erwiderte Balduin, «ich setze Flandern ein, obschon allein meine Landschaft Wals mehr wert ist als Euer ganzes Holland.»

Da setzten sich die Grafen zum Schachtisch und begannen ihr Spiel. Endlich rief der von Holland plötzlich: «Schach, Euer Flandern ist mein!», und Balduin hätte seine Grafschaft verloren gehabt, wäre der Kaiser nicht dazwischengekommen und hätte der nicht eine große Summe Goldes zum Abkauf festgesetzt. Balduin wandte sich zu den Ständen von Flandern, damit diese ihm die Summe bewilligten, doch die schlugen es ihm ab. Da bat er die größeren Städte seines Landes darum, doch auch diese weigerten sich, sie zu zahlen. In der Not sprang die Stadt Gent ihrem Grafen endlich bei und bezahlte allein die ganze Summe. Dafür wollte sich Balduin dankbar erweisen und gestand ihr das große Privilegium zu, welches seitdem der hieß, worin sie zur Hauptstadt des Landes erhoben wurde und der Graf sich verpflichtete, fortan keine Abgaben in Flandern zu erheben, ohne vorher die Zustimmung der Stadt dazu erlangt zu haben. (Niederlande)


Quelle: Joh. W. Wolf, Deutsche Märchen und Sagen, Leipzig 1845, Nr. 291
aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 56, S. 40