LANDERWERB MIT DEM PFLUG

Eticho der Welf liebte die Freiheit so sehr, daß er seinem Sohne Heinrich heftig abriet, ein Land vom Kaiser zu Lehen zu tragen. Heinrich aber begab sich durch Zutun seiner Schwester Judith, die Ludwig dem Frommen die Hand gegeben hatte, in des Kaisers Schutz und Dienst und erwarb von ihm die Zusage, daß ihm so viel Land geschenkt sein sollte, als er mit seinem Pfluge zur Mittagszeit umgehen könnte. Heinrich ließ darauf einen goldenen Pflug schmieden, den er unter seinem Kleide barg, und zur Mittagszeit, als der Kaiser schlief, fing er an, das Land zu umziehen. Er hatte auch an verschiedenen Orten Pferde bereitstehen, um zu wechseln, wenn sie ermüdeten. Wie er eben einen Berg überreiten wollte, kam er an ein böses Mutterpferd, das gar nicht zu bezwingen war, so daß er es nicht besteigen konnte. Daher heißt der Berg bis auf den heutigen Tag Mährenberg, und die Ravensburger Herren behaupten das Recht, daß sie nicht genötigt werden könnten, Stuten zu besteigen. Mittlerweile war der Kaiser aufgewacht und Heinrich mußte einhalten. Er ging mit seinem Pfluge an den Hof und erinnerte Ludwig an das gegebene Wort. Dieser hielt es auch, wiewohl es ihm leid tat, daß er so belistet und um ein großes Land gebracht worden war. Seitdem führte Heinrich den Namen eines Herrn von Ravensburg; denn Ravensburg lag mit im umpflügten Gebiet. Seine Vorfahren hatten bloß Herren von Altdorf geheißen.


Quelle: Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsche Sagen, 3. A., Berlin 1865, DS 525 (nach Reineccius, Epositiones geminae de Welforum prosapia, Frankfurt 1581, p.22 f.; letzter Absatz gestrichen)
aus: Historische Sagen, Leander Petzoldt, Schorndorf 2001, Nr. 54, S. 39